Keith Jarretts “Sun Bear Concerts” ist ohne Zweifel eines der monumentalsten Werke, das je auf Tonträger dokumentiert wurde. Die zehn LPs der ursprünglichen “Sun Bear Concerts”-Box (die später auf sechs CDs wiederöffentlicht wurden) enthielten Aufzeichnungen von fünf kompletten Konzerten, die der für seine Soloaufnahmen aus Bremen, Lausanne (ECM 1035–1037) und Köln (ECM 1064) in der ganzen Welt gefeierte Pianist im November 1978 in Japan gegeben hatte. Die Aufnahmen offenbarten zum einen die beträchtlichen Entwicklungen in Jarretts Spiel seit den vorgenannten Konzerten und illuminierten zum anderen in einzigartiger Weise die Natur des kreativen Prozesses im Verlauf einer einzigen Konzertserie. Produziert wurde die aufsehenerregende Box von Manfred Eicher, der Jarrett zusammen mit dem Toningenieur Okihiro Sugano auf seiner Reise durch Japan begleitet hatte. Am 19. Februar werden die “Sun Bear Concerts” nun in einer auf 2.000 Exemplare limitierten und durchnummerierten Faksimileausgabe, für die die originalen Analogbänder verwendet wurden, wieder erhältlich sein. Das Box-Set in handgebundener Buchform (Design: Barbara Wojirsch) enthält Fotografien von Klaus Knaup, Tadayuki Naitoh und Akira Aimi.
Die improvisatorischen Ressourcen eines Musikers waren noch nie zuvor (und auch nie danach) Gegenstand einer so erschöpfenden Musterung gewesen. Wie Keith Jarrett einst sagte: Bei Solokonzerten kann man sich nirgends verstecken. Noch heute versetzen einen die Beständigkeit seines Einfallsreichtums und die Bandbreite seiner melodischen Phantasie in Erstaunen. Selbst die Passagen mit nachdrücklichen Ostinati, die Jarrett zwischendurch einstreut, um neue Ideen zu schöpfen, haben eine hypnotische Kraft und motivischen Wert. Im Verlauf der Tournee, die in Kyoto begann und ihn über Osaka, Nagoya und Tokyo nach Sapporo führte, machte Jarrett neue ereignis- und detailreiche Musik. Und jedes dieser Konzerte hatte einen unverkennbar eigenen Charakter.
“Diese Marathons bewiesen, dass Jarrett einer der größten Improvisatoren des Jazz ist”, meinte der britische Trompeter und Jazzjournalist Ian Carr in seiner Biographie des Pianisten. “Er verfügt offensichtlich über einen unerschöpflichen Fluss an rhythmischen und melodischen Ideen, eine der brillantesten pianistischen Techniken überhaupt und die Fähigkeit, komplexe und tiefgründige Gefühle zu vermitteln.”
“Jarretts Konzerte sind unwiederholbar”, befand Peter Ruedi 1978 in der Schweizer Weltwoche. “Sie enthalten eine Musik, die für immer vorüber ist, wenn sie erklungen ist: ein Grund von diesem Musiker entweder nichts auf Platten festzuhalten. Oder alles. Pianistisch erscheint Jarrett auf seinem Japan-Trip noch perfekter als auf seinen früheren Solo-Einspielungen, er scheint noch mehr Wert auf Anschlagsqualitäten zu legen, über weite Strecken scheint er überhaupt nicht mehr in melodischen oder harmonischen Strukturen zu denken, sondern in Klangfeldern, die er (was freilich die unübertroffene Artistik der ECM-Piano-Aufnahmetechnik voraussetzt) mit einem Raffinement gegeneinander setzt wie es auch einer klassischen Piano-Kultur nur in extremster Perfektion möglich ist: von gerade noch um Millimeter über dem Schweigen schwebenden, aber genau ausziselierten Harfen-Arpeggios bis zu schreiend stechenden, mit fingerbrechender Expressivität endlos gezogenen Fandango-Linien. Jarretts Stil liegt im Gestus, nicht im Material. Es ist Zeit, diesen Pianisten gegen seine Epigonen zu verteidigen. Diese Produktion ist dazu das probate Mittel.”