Michel Petrucciani – der Zwerg, der spielte wie ein Riese
Die preiswerte CD-Box “5 Original Albums” versammelt fünf frühe Alben, die Pianist Michel Petrucciani in den 1980ern für das französische Label Owl Records eingespielt hat.
Michel Petrucciani - 5 Original Albums
09.10.2018
“Er war ein Zwerg, aber er spielte wie ein Riese”, erinnerte sich der Trompeter Clark Terry an seine erste Begegnung mit dem damals erst 15-jährigen Michel Petrucciani zurück. Als der Pianist bei einem Festival in Frankreich zu ihm auf die Bühne getragen wurde, dachte Terry zunächst, dass die Veranstalter ihm einen geschmacklosen Streich spielen wollten. “Aber als ich ihn spielen hörte – oh, Mann!” So wie Terry ging es wohl jedem, wenn er Petrucciani das erste Mal auf einer Bühne erlebte. Er war buchstäblich das, was man in den USA “a big surprise in a small package” nennt.
Neben seinem beträchtlichen musikalischen Talent besaß Petrucciani aber auch eine erstaunliche Arbeitsethik. “Ich glaube nicht an Genies, ich vertraue auf harte Arbeit”, begründete er das selbst. Und harte Arbeit bedeutete für den Pianisten, der 1962 mit Glasknochen und kleinwüchsig zur Welt gekommen war, ungleich viel härtere Arbeit als für seine gesunden Kollegen. Angetrieben wurde er zudem von der nicht unbegründeten Furcht, kein langes Leben führen zu können. Und so spielte er in den nicht einmal zwanzig Jahren, die zwischen seinem Plattendebüt 1980 und seinem frühen Tod 1999 vergingen, fast schon manisch allein 30 Alben unter eigenem Namen ein.
Die Jazzwelt eroberte Petrucciani vor allem durch seine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Saxophonisten Charles Lloyd, den er 1982 aus dem Ruhestand herausholte und zu einer Rückkehr ins Musikgeschäft bewegen konnte. Zuvor hatte er jedoch schon einige eigene Alben für das französische Label Owl Records aufgenommen, darunter “Michel Petrucciani” (1981) mit Bassist J.F. Jenny-Clark und Schlagzeuger Aldo Romano sowie “Toot Sweet” (1982) im Duo mit dem Altsaxophonisten Lee Konitz.
Diese beiden Alben sind nun mit drei weiteren aus der ersten Hälfte der 1980er Jahre zusammen in der preiswerten Box “5 Originals Albums” wiederveröffentlicht worden. Alle zeigen Petrucciani nicht nur als technisch brillanten und erfindungsreichen Pianisten, sondern auch als fantasievollen Komponisten. Auf den beiden solo eingespielten Alben “Oracle’s Destiny” (1983) und “Notes’N Notes” (1984) zollte Petrucciani seinem großen Idol Bill Evans Tribut. Für letzteres nahm er sogar einige Tracks im Overdub-Verfahren auf, so wie es Evans einst auf seinen beiden “Conversations With Myself”-Alben getan hatte. “Cold Blues” (1985) wiederum präsentierte den Pianisten im intimen Zusammenspiel mit dem Bassisten Ron McClure. Auf späteren Aufnahmen war Michel Petrucciani dann mit US-Größen wie Wayne Shorter, Jim Hall, Stanley Clarke, Marcus Miller, Kenny Garrett, Steve Gadd und Lenny White, aber auch französischen Jazzstars wie Stéphane Grappelli, Eddy Louiss und Biréli Lagrène zu hören. Ausgestattet ist die Box “5 Original Albums” wie immer mit Original-Artwork, Stecktaschen-CDs und einem attraktiven Schuber.