Ambrose Akinmusire | News | Akinmusire live - kreative Geisterstunde im Village Vanguard

Akinmusire live – kreative Geisterstunde im Village Vanguard

Ambrose Akinmusire 2017
Ambrose Akinmusire 2017
16.06.2017
Der 35-jährige Trompeter Ambrose Akinmusire hat sich auf seinen beiden bisherigen Blue-Note-Alben When The Heart Emerges Glistening” (2011) und “The Imagined Savior Is Far Easier To Paint” (2014) als ein Künstler von seltener Begabung und mit breit gefächerten ästhetischen Interessen erwiesen. Auf dem neuen Doppelalbum “A Rift In Decorum: Live At The Village Vanguard” ist er nun mit seinen langjährigen musikalischen Partnern – Pianist Sam Harris, Bassist Harish Raghavan und Schlagzeuger Justin Brown – zu absoluter Hochform aufgelaufen. Und das hatte nicht zu zuletzt mit den Legenden zu tun, die in dem ältesten Jazzclub New Yorks einst bahnbrechende Live-Alben eingespielt haben.
“Es ist, als ob man dort von ihren Geistern umarmt wird”, sagt Akinmusire. “Aber auch lebende Legenden wie Lee Konitz und Billy Hart tauchten in der Woche auf, in der wir dort spielten. In einer schnelllebigen Zeit wie dieser ist es einfach großartig, dass es noch solche Orte gibt, die nahezu unverändert sind.”
Normalerweise gehört zu Akinmusires Entourage noch der Tenorsaxophonist Walter Smith II. Doch für die Aufnahmen von “A Rift In Decorum” wählte der Trompeter das spartanischere und zugleich etwas agilere Quartett-Format. “Historisch gesehen gab es nicht allzu viele Trompeter, die Quartette unterhielten”, sagt er. “Ich glaube, dass viele Trompeter davor zurückschrecken. Mir gefiel die Herausforderung. Im Quartett habe ich ein klein wenig mehr Freiheiten all meine Einflüsse geltend zu machen.”
Auf dem Album – das verdeutlicht schon sein Titel “A Rift Of Decorum” – geht es um Brüche mit der Etikette, und dies nicht nur in musikalischer Hinsicht. “Ich mag es wirklich, Extreme auszuprobieren”, erklärt Akinmusire “Ich liebe es, Dinge, die wirklich direkt sind, mit Dingen zu kombinieren, die ganz und gar nicht direkt sind, und beides dann aneinander zu reiben. Manchmal deute ich dabei einen Mittelweg an und manchmal stelle ich in Frage, ob es einen solchen überhaupt gibt. Genau darum geht es bei diesem Quartett in meiner Vorstellung. Es gibt Stücke, bei denen wir sehr viel spielen, und dann wieder welche, die viel sparsamer sind, fast schon wie ein Werk von Morton Feldman oder ein ‘Nocturne’ von Chopin. Ich glaube immer stärker, dass ich ein Mensch der Extreme, der polaren Gegensätze bin.”
Auch Akinmusires Bandkollegen, die bestens mit den musikalischen Instinkten und Zielen ihres Leaders vertraut sind, schwelgen in diesen Extremen. Rasante und komplexe Nummern wie “Brooklyn (ODB)”, “Trumpet Sketch (milky pete)” und “H.A.M.S.” (das Kürzel steht für “hard-ass m-f’ing song”) stehen in starkem Kontrast zu der Ruhe von “A song to exhale to (diver song)” oder dem getragenen Lyrismus von “Withered”.
Trotz der Präsenz der eingangs erwähnten Geister verspürte die Band bei ihrem Auftritt im Village Vanguard keinerlei Druck. “Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass ich nicht in New York lebe und mich dort wie eine ganz normale Person fühle, einfach ein normaler Typ, der halt Trompete spielt. Und je älter ich werde, desto mehr wird es für mich eine spirituelle Sache. Ich glaube heute wirklich mehr denn je, dass ich gar nicht derjenige bin, der spielt. Das nimmt sehr viel Druck von mir. Mein Job ist lediglich, alles Notwendige zu unternehmen, damit die Geister durch mich sprechen können.”