Mit seinem neuen Blue-Note-Album legt der Trompeter ein kontrastreiches Meisterwerk zwischen Jazz, zeitgenössischer Klassik, dekonstruiertem Hip-Hop, Funk, Spoken Word und Soul vor.
Ambrose AkinmusireChristie HemmKlok
11.10.2018
“Es ist Musik, die sich in deine Seele einschleicht”, meinte Frank Alkyer letztes Jahr in seiner DownBeat-Rezension über Ambrose Akinmusires Live-Doppelalbum “A Rift In Decorum: Live At The Village Vanguard”, “ganz gleich ob sie hitzig oder ruhig spielen, nichts wird von diesen Musikern jemals überstürzt; alles ist durchdacht und zielgerichtet.” Die Jazzgeister des Village Vanguard, die der Trompeter mit Pianist Sam Harris, Bassist Harish Raghavan und Schlagzeuger Justin Brown auf “A Rift In Decorum” so effektvoll heraufbeschworen hatte, wird er Mitte Oktober in selber Besetzung auch bei zwei Konzerten in Deutschland wiederbeleben.
Pünktlich zu seinem Deutschland-Besuch erscheint auch Akinmusires visionäres neues Album “Origami Harvest”, für das er in den USA gerade überschwänglich in den Medien gefeiert wird. Das Werk entstand als Auftragskomposition für die Liquid Music Series in St. Paul und das Ecstatic Music Fest in Manhattan.
“Was ist die verrückteste Idee, die du auf Lager hast?” Mit dieser Frage von Judd Greenstein, dem Kurator des Ecstatic Music Fest, begann die Geschichte von “Origami Harvest”. Ambrose Akinmusire musste nicht lange nachdenken und antwortete postwendend: “Ich möchte ein Projekt über Extreme machen und Dinge, die scheinbar gegensätzlich sind, direkt nebeneinander stellen.”
“Ambrose ist ein von Natur aus kooperativer Künstler”, meint Greenstein über den Trompeter. “Er ist jemand, dessen Ohr in jeder erdenklichen Ecke nach Inspiration sucht. Darüber hinaus ist er natürlich ein ungemein begabter Komponist und Interpret. Wir loteten für dieses Projekt viele Möglichkeiten aus, aber das Gespräch kam immer wieder auf Hip-Hop und das Potenzial für ein größeres Werk zurück, das Raum für einen Dialog zwischen ihm und einem MC schaffen sollte. Unsere Wahl fiel auf Kool A.D., weil er ein extrem facettenreicher, multidimensionaler Künstler ist, ein MC, der oft gleichzeitig zu rappen und zu hinterfragen scheint, was es bedeutet, ein Rapper zu sein. Wenn das postmodern klingt, dann liegt das daran, das es das vielleicht auch ist…”
Das andere Extrem verkörpert hier das New Yorker Mivos Quartet, “eines der kühnsten und wildesten Ensembles für Neue Musik in den USA” (The Chicago Reader). Doch Akinmusire beschränkt sich nicht darauf, zeitgenössische Klassik und dekonstruierten Hip-Hop aufeinander treffen zu lassen, sondern bricht auch immer wieder auf die Gebiete des Jazz, Funk, Spoken Word und Soul aus. Komplettiert wurde die Besetzung für die Aufnahme durch Mitglieder von Akinmusires fester Band (Pianist Sam Harris, Drummer Marcus Gilmore und Saxophonist Walter Smith III) und den aus Oklahoma City stammenden Soul-Sänger LmbrJck_T.
Auf “Origami Harvest” knüpft Akinmusire an einige Ideen an, die er 2014 auf “The Imagined Savior Is Far Easier To Paint” schon angedeutet hatte. Damals verstärkte er sein Sextett um drei sehr unterschiedliche Vokalisten (Becca Stevens, Theo Bleckmann und Cold Specks) sowie das Osso String Quartet. Mit Kool A.D. und dem Mivos Quartet treibt er das Spiel mit den Extremen nun auf die Spitze. Dennoch ist “Origami Harvest” eine überraschend in sich geschlossene Studie von Kontrasten, bei der die diversen Komponenten sehr viel enger miteinander verzahnt zu sein scheinen. Und wie die drei vorangegangenen Blue-Note-Alben des gebürtigen Oaklanders ist auch “Origami Harvest” ein Werk schier atemberaubender Schönheit und grandioser Kunstfertigkeit, ebenso poetisch wie provokativ.