Mit “Secret”, ihrem jüngstem Album für Universal Music, scheint die polnische Sängerin Anna Maria Jopek endlich dort angekommen zu sein, wo sie immer schon hingelangen wollte: ihre Musik vereint Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. “Secret” ist der Nachfolger des 2003 erschienenen Albums “Farat”, mit dem sie sieben Wochen lang die polnischen Popcharts dominierte, sowie des in Polen mit Platin ausgezeichneten Albums “Upojenie”, das die Sängerin vor drei Jahren mit dem Gitarristen Pat Metheny als Gast aufgenommen hatte.
Bislang hatte Anna Maria Jopek all ihre Alben in ihrer Muttersprache Polnisch aufgenommen. Angesichts ihrer wachsenden internationalen Popularität schien es ihr nun aber an der Zeit, ihr erstes Album in englischer Sprache einzusingen. “Die Entscheidung fiel mir nicht leicht”, erzählt sie. “Ich bin es gewohnt, überall in der Welt in Polnisch zu singen. Ich glaube, die Energie und Emotion meiner Musik sind so offensichtlich, daß sie auch bei einem Publikum ankommen, das meine Texte nicht versteht. Aber für jeden Musiker ist Kommunikation nun mal das Wichtigste, und es gibt Leute, die die Bedeutung meiner Texte gerne verstehen würden. Also sagte ich mir: ‘Ruh dich nicht auf deinen Lorbeeren aus, sondern nimm die Herausforderung an.’ Ich war mir nicht sicher, ob ich dabei verlieren oder gewinnen würde… aber ich wollte es trotzdem riskieren, in Englisch zu singen.”
Das von Ross Cullum produzierte Album “Secret” enthält eine Mischung aus von Anna Maria Jopek geschriebenen Originalen und vier sorgfältig ausgewählten Coverversionen. “Das Problem und zugleich die Herausforderung bei solch einem Album ist, die Ausdrucksstärke, die Anna Maria in ihrer eigenen Sprache hat, in die englische Sprache hinüberzuretten”, sagt Produzent Ross Cullum. “Was wirklich nicht fehlte, waren eigene Stücke, aus denen man auswählen konnte. Immerhin hatte sie schon zehn Alben gemacht. Wir wollten versuchen, den etwas dunklen und poetischen polnischen Einfluß beizubehalten und auf die englische Sprache zu übertragen. ‘Cherry Tree’ klingt zum Beispiel auf eine wundervolle Weise ziemlich gespenstisch. Die Coverversionen sind sehr originelle Interpretationen von Songs, die jeder kennt und die wir in Annas Welt verpflanzt haben. Etwa Van Morrisons ‘Moondance’, das im Original heiter und beschwingt ist, in Anna Marias Version aber sehr viel langsamer daherkommt – sie gibt dem Stück eine intime, sexy wirkende Note.”
Nicht weniger überraschend sind die Coverversionen von No Doubts “Don’t Speak” sowie den beiden Sting-Songs “I Burn For You”, mit dem das Album beginnt, und “A Thousand Years”. “Bei mir zu Hause lieben wir Sting”, sagt Anna Maria. “Wenn ein neues Album von ihm erscheint, ist das jedes Mal wie Weihnachten für uns.” Dennoch werden die von Anna Maria Jopek selbst geschriebenen Songs für viele die Highlights des Albums sein. Mit ihren tief im slawischen Musikerbe verwurzelten sehr eingängigen Melodien, den jazzigen Harmonien und den von ihr oder ihrem Ehemann Marcin Krydynski verfaßten Texten gewähren die Songs einen faszinierenden Einblick in die polnische Psyche. “Unsere Texte sind sehr stark von der polnischen Dichtung beeinflußt”, sagt Anna Maria. “Meine Musik hingegen befindet sich an einem Kreuzungspunkt und ist nicht so leicht zu beschreiben. Es gibt immer eine gewisse Verbindung zur Musik meiner Heimat, zur ‘Redefreiheit’ des Jazz und zur ‘Detailliebe’ der klassischen Musik. Aufnahmen sind für mich sehr wichtig, weil sie definieren, wer ich bin. Jedes einzelne Album legt dar, was ich in einem bestimmten Moment musikalisch denke.”
Anna Maria Jopek kam im Dezember 1970 in Polen zur Welt, im selben Monat, als es in den Werften von Gdansk zu Aufständen kam, die zur Amtsenthebung des kommunistischen Parteichefs Wladislaw Gomulka führten. “Das hat mich offenbar auch zu einer geistigen Freiheitskämpferin gemacht”, meint die Sängerin. “Ich glaube mit aller Kraft an die Menschenrechte.” Aufgewachsen ist Anna Maria Jopek mit polnischer Volksmusik, da ihre Eltern Miglieder einer populären polnischen Volksmusikgruppe waren. “Leidenschaft war immer ein Bestandteil unseres Lebens”, erinnert sie sich. “Und meine Leidenschaft galt verschiedenen Musikstilen, die allesamt dazu beitrugen, meinen eigenen musikalischen Charakter zu formen. Die erste Musik, die ich hörte und erlernte, war Volksmusik. Dann studierte ich 17 Jahre lang klassisches Klavier.” Als Kind spielte sie oft mit ihrer Schwester, einer Violinistin, zusammen. Später besuchte sie die berühmte Chopin-Musikakademie in Warschau. Noch heute zählt sie die Klassiker Chopin, Bach und Mozart zu ihren Lieblingskomponisten. Nachdem sie ihren Abschluß an der Akademie gemacht hatte, ging sie nach New York, um an der Manhattan School of Music an einem Sommerkurs der Jazzabteilung teilzunehmen. Und dort erlag sie schließlich der Faszination des Jazz.
Rund vier Jahre lang schlug sie sich anschließend als Session-Sängerin durch. Dann bekam sie die Gelegenheit, im Mai 1997 die Farben ihres Landes beim Eurovisions-Liederwettbewerb zu vertreten. Dort präsentierte sie ihren Song “Ale jestem”, der auch das Titelstück ihres Debütalbums wurde. Dieses erschien noch im Herbst desselben Jahres und zeigte ihre kreative Herangehensweise an die Volkmusik ihrer Heimat. Für das Album erhielt sie ihre erste Goldene Schallplatte und den Fryderyk-Preis in der Sparte “bestes Debütalbum”. Das nächste Album trug den Titel “Szeptem/Koncert”, präsentierte Anna Maria Jopek von ihrer jazzigen Seite und wurde mit Platin ausgezeichnet. Danach folgten “Jasnoslyszenie” (Gold), das Weihnachtsalbum “Dzisiaj z Betlejem”, “Bosa” (Gold), “Barefoot” (das von einem enthusiastischen Kritiker gar als “das beste Album in der Geschichte der polnischen Musik” bezeichnet wurde), “Nienasycenie” und “Farat” (zwei weitere “Gold”-Alben). Ihr im Dezember 2002 erschienenes Album “Anna Maria Jopek And Friends With Pat Metheny: Upojenie” verkaufte sich innerhalb eines Monats 80.000 Mal und wurde mit Platin ausgezeichnet. “Ich war in Eile, weil ich meine Karriere als Solosängerin so spät gestartet hatte”, flachst Anna Maria. “Also nahm ich seit 1997 zehn Alben auf. Jede Platte unterscheidet sich deutlich von den anderen. Es gibt rein akustische Musik, Pop-Produktionen, ein Weihnachtsalbum, ich flirte mit verschiedenen Volksmusiken. Mir macht es Spaß mit vielen unterschiedlichen Musikern zusammenzuarbeiten, weil es immer inspirierend ist, jemanden dabeizuhaben, der die Dinge von einem anderen Standpunkt aus betrachtet. Die inspirierendste Platte, die ich gemacht habe, war die mit Pat Metheny: ‘Upojenie’. Wir waren eine Woche lang zusammen im Studio und diese Erfahrung hat mich für immer verändert.”