“Playing The Room” zeugt von der langen und nicht nur musikalischen Freundschaft, die den Trompeter Avishai Cohen mit dem Pianisten Yonathan Avishai verbindet. Bereits als Teenager in Tel Aviv begannen sie gemeinsam den Jazz zu erkunden. Obwohl sich ihre Wege zwischenzeitlich trennten (Cohen ging nach New York, Avishai nach Frankreich), verloren sie sich nie wirklich aus den Augen und spielten – etwa in dem Quartett Third World Love – über viele Jahre hinweg zusammen. Zuletzt war Yonathan auf Avishais beiden hochgelobten ECM-Alben “Into The Silence” und “Cross My Palm With Silver” zu hören. Ihr erstes Duo Album beginnen sie mit zwei eigenen Kompositionen, um es dann mit einer bewegenden Interpretation von Alexander “Sasha” Argovs Wiegenlied “Shir Eres” ausklingen zu lassen. Dazwischen improvisieren sie – frei, ausgelassen und mit viel Gefühl – über Themen von John Coltrane, Duke Ellington, Abdullah Ibrahim, Ornette Coleman, Milt Jackson und sogar Stevie Wonders “Sir Duke”. Wie der Titel “Playing The Room” andeutet, spielte der Aufnahmeraum – das Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano – bei der Entstehung des Klangs dieses Albums eine nicht unbedeutende Rolle. Denn bei ihrer Performance, die von kammermusikalischer Intimität und Konzentriertheit geprägt war, schöpften die beiden Musiker die akustischen Raumeigenschaften voll aus.
Den ursprünglichen Anstoß zu diesem Album gab ein eher beiläufiger Kommentar von Manfred Eicher. Als er im Februar 2018 in Lugano die Aufnahmen für Yonathan Avishais Trio-Album “Joys And Solitudes” produzierte, merkte Eicher an: “In diesem Raum sollte Avishai [Cohen] spielen.” Schon ein paar Wochen später wurde spontan eine Duo-Session anberaumt, um zu testen, welche Auswirkungen dies haben würde. Aufgrund ihrer großen dynamischen Bandbreite und der manchmal stark akzentuierten Rhythmen hatten Avishai Cohens Alben “Into The Silence” und “Cross My Palm With Silver” eine andere Aufnahmeumgebung erfordert, in der Bass und Schlagzeug bei Bedarf isoliert werden konnten. Für die Herausforderungen dieser Musik erwiesen sich die Studios La Buissonne bei Marseille als gute Wahl. Die eher dialogorientierten Qualitäten des Trompeten-Klavier-Duos wiederum konnten besser zwischen den holzverkleideten Wänden des Konzertsaals von Lugano aufblühen und gedeihen.
Die Frage, was man spielen sollte, war fast schon zweitrangig. Schließlich tauschen sich Yonathan Avishai und Avishai Cohen inzwischen seit rund dreißig Jahren musikalisch miteinander aus. Sie besuchten dieselbe Mittelschule in Israel, und Yonathan hatte in einigen Ensembles bereits mit Cohens Geschwistern (dem Saxophonisten Yuval und der Klarinettistin Anat) musiziert, bevor sich herausstellte, dass es zwischen ihm und Avishai eine besondere musikalische Verbindung gab. Und je mehr sie im Laufe der Zeit ihre Improvisationsfähigkeiten verfeinerten, desto mehr vertiefte sich die musikalische Verbindung zwischen ihnen. “Playing The Room” ist darum ein Dialog zwischen Freunden, die in der Musik Ideen austauschen, individuelle Statements abgeben und über die Jazzgeschichte sowie persönliche Assoziationen reflektieren. Und, wie bereits erwähnt, mit den Klangmöglichkeiten des Raumes arbeiten: Avishai lässt seine Trompete vor allem im mittleren und unteren Register mit goldenem, poliertem Glimmen singen und macht deutlich, weshalb der Boston Globe ihn einmal einen “Trompeter von seltener Poesie und rarem Lyrismus” nannte. Währenddessen spielt Yonathan Avishai auf seine ganz persönliche Art, die gleichzeitig robust und zurückhaltend, modern und im Blues verankert ist, auf einige der Meister an, deren Werke ihn nachhaltig geprägt haben. “Seine Soli”, so hieß es kürzlich im DownBeat, sind “weitläufig, unaufgeregt, schön, und klingen, als ob er es nicht eilig hätte, sich zu beweisen.”
“Da ich Avishais Musik in seinem Quartett spiele, das in ganz anderen Gefilden unterwegs ist, und meine musikalischen Ideen in meinem eigenen Trio umsetzen kann, verspürten wir beide nicht das Bedürfnis, bei dieser Duo-Einspielung unsere kompositorischen Talente in den Vordergrund zu stellen”, sagt Yonathan Avishai. "Wir haben beide nur je ein Stück zu dem Repertoire beigesteuert [Avishai “The Opening” und Yonathan “Two Lines”], und das waren dann auch die ersten Sachen, die wir aufgenommen haben. Die Reihenfolge, der sich anschließenden Stücke entspricht, so ziemlich der Reihenfolge, in der wir die Musik in Lugano eingespielt haben. Und das hat zum einen mit Energien, die wir wirklich mögen, zu tun, zum anderen aber auch mit Komponisten aus dem Jazz und anderen Genres, die wir mögen. Wir spielen zum Beispiel immer etwas Musik von Ornette: ‘Dee Dee’ ist ein Stück, das wir seit vielen Jahren spielen und tatsächlich oft zitieren, wenn wir improvisieren. Ellington haben wir natürlich schon immer gemocht, und auch Abdulla Ibrahim und so weiter. Und gewisse Dinge ergaben sich einfach. Nahezu alles entstand im ersten Take."
Für die größte Überraschung dürfte auf diesem Album Yonathans Arrangement von Stevie Wonders Ellington-Hommage “Sir Duke” sorgen. Die Aufnahme ist eine indirekte Hommage an Don Cherry, der 1978 auf dem ersten Codona-Album mit Collin Walcott und Naná Vasconcelos einen Teil des bekannten Chorus in das Medley “Colemanwonder” eingebunden hatte. In der hier präsentierten Version ist es beinahe ein Solo-Klavierstück. Cohens Trompete setzt sanft erst in den letzten Momenten ein.
Durch die Interpretation von Sasha Argovs “Shir Eres” schließt sich am Ende des Albums der Kreis. Argov (1914–1995) gilt als einer der bedeutendsten und produktivsten Komponisten Israels. Sein breit gefächertes Œuvre umfasst mehr als tausend Lieder, die er zu Worten von israelischen Dichtern komponierte.
“Playing The Room” wurde im September 2018 aufgenommen und von Manfred Eicher produziert und ist sowohl als audiophiles Vinyl-Album als auch als CD erhältlich. Live werden die beiden Avishais ihr faszinierendes Programm am 12. Dezember in der Kölner Philharmonie und am 13. Dezember im Bremer Sendesaal präsentieren.