Seit rund 45 Jahren gilt der Gitarrist Bill Frisell als einer der innovativsten und einflussreichsten Musiker der Gegenwart. Kaum ein anderer ist so wandlungsfähig und vielseitig wie er und verfügt dabei dennoch über eine unverwechselbar eigene Stimme auf seinem Instrument.
Eigentlich ist Bill Frisell ein Freund kleiner, manchmal fast schon kammermusikalischer Besetzungen. Doch auf “Orchestras”, seinem neuesten Album für Blue Note, greift er in die Vollen. Eingespielt hat er es 2021/22 bei Konzerten in Europa mit seinen langjährigen Trio-Partnern Thomas Morgan (Bass) und Rudy Royston (Drums) sowie zwei Orchestern, die sich in Dynamik und Agilität deutlich voneinander unterscheiden: dem fast 60-köpfigen Brussels Philharmonic und dem elfköpfigen Umbria Jazz Orchestra. Die ebenso stimmungsvollen wie komplexen Arrangements für beide Klangkörper stammen von Frisells altem Freund und Mentor Michael Gibbs.
Bill Frisell, 1951 in Baltimore geboren und in Denver aufgewachsen, spielte in seiner Kindheit Klarinette, bevor die Popmusik sein Interesse an der Gitarre weckte. “Als ich 16 war, hörte ich viel Surfmusik, viel englischen Rock”, erzählte Frisell einmal in einem Interview mit dem britischen Musikmagazin The Wire. “Dann sah ich Wes Montgomery, und das hat mir irgendwie eine neue Richtung gegeben. Besonders beeindruckt hat mich später auch Jim Hall, bei dem ich ein paar Stunden Privatunterricht nahm. Ich glaube, ich spiele heute die Art von harmonischen Sachen, die Jim spielen würde, aber mit einem Sound, der von Jimi Hendrix kommt.”
Nach seinem Musikstudium an der University of Northern Colorado und am Berklee College of Music in Boston verschlug es Frisell 1978 nach Belgien, wo er durch einen glücklichen Zufall Manfred Eicher kennenlernte. Der Münchner Produzent, der kurz zuvor mit Pat Metheny schon einen ehemaligen Berklee-Kommilitonen von Frisell unter seine Fittiche genommen hatte, erkannte sofort sein musikalisches Potenzial und holte ihn als eine Art “Hausgitarristen” zu seinem Label ECM Records. Dort wirkte er an Aufnahmen von Eberhard Weber, Paul Motian, Jan Garbarek, Arild Andersen, Paul Bley und Mark Johnsons Band Bass Desires mit, spielte aber auch seine ersten eigenen Alben für das Label ein. Frisells nächste musikalische Station war New York, wo er Mitte der 1980er Jahre – unter anderem durch zahllose Projekte mit dem Saxofonisten John Zorn – zu einem der Stars der innovativen Downtown-Szene avancierte. “Er ist einer der wahren lebenden Kulturschätze Amerikas”, sagt Zorn über Frisell. Den Beweis erbrachte der Gitarrist auf einer Vielzahl von brillanten Alben, die er zwischen 1989 und 2009 für das Label Nonesuch einspielte, aber auch durch Zusammenarbeiten mit so unterschiedlichen Künstlern wie Elvis Costello, Paul Simon, Lucinda Williams, Marianne Faithfull, Norah Jones, David Sylviain, Bonnie Raitt, und und und. Laut AllMusic hat Bill Frisell bisher über 85 eigene Alben veröffentlicht und auf Hunderten als Gast oder Begleiter mitgewirkt.
Zu seinem heutigen Label Blue Note kam Bill Frisell 2016 durch die enge Zusammenarbeit mit dem Saxofonisten Charles Lloyd. Nach zwei Aufnahmen als Mitglied von Lloyds Band The Marvels veröffentlichte der Gitarrist 2019 mit “Harmony” sein erstes eigenes Album bei Blue Note, dem mit “Valentine” (2020), “Four”(2022) und nun “Orchestras” (2024) mittlerweile drei weitere folgten, auf denen Frisell seine Vielseitigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellte. Im Titel einer 2022 erschienenen Biografie des Musikers bezeichnet der Autor Philip Watson Bill Frisell als “Beautiful Dreamer” und “The Guitarist Who Changed The Sound Of American Music”. Besser kann man Bill Frisell kaum beschreiben.
Stand: November 2024