Billy Hart | News | Ein Quartett brillanter zeitgenössischer Konzeptualisten

Ein Quartett brillanter zeitgenössischer Konzeptualisten

Mit “Just”, seinem dritten Album für ECM, beweist das Billy Hart Quartet, dass es nach wie vor ein Ensemble ist, das tief in der Jazzgeschichte verwurzelt und zugleich musikalisch höchst innovativ und zukunftsorientiert ist.
Billy Hart
Billy Hart(c) Roberto Cifarelli
27.02.2025
Seit etwas mehr als zwanzig Jahren unterhält der Schlagzeuger Billy Hart nun schon sein Quartett mit Mark Turner, Ethan Iverson und Ben Street. Und noch immer zeichnet sich das Ensemble durch seine stilistische Offenheit aus. Denn die Musiker waren von Anfang an bereit, ihrem Bandleader in jede Richtung zu folgen, die er ihnen vorschlug. “Wenn es je ein Beispiel für zeitgenössischen Jazz gegeben hat, der sich ausgiebig aller ‘Traditionen’ bedient und gleichzeitig von der melodischen Klarheit durchdrungen ist, die man mit anspruchsvollerer Popularmusik verbindet, dann ist es dieses”, schrieb Kevin Le Gendre in Jazzwise über “One Is The Other”, das letzte ECM-Album des Quartetts. Als Schlagzeuger mit einem enormen Erfahrungsschatz, der viele idiomatische Umbrüche des Jazz miterlebt hat, bevorzugt der heute 84-jährige Billy Hart einen “multidirektionalen” Klangansatz. Und seine jüngeren Kollegen verstehen es, entsprechend darauf zu reagieren, wobei jedes Stück auf raffinierte Weise eine andere Tür öffnet. Das Quartett ist eine Allianz von vier höchst individuellen Improvisatoren. “Eine Jazzgruppe ist ein empfindlicher Mechanismus”, bemerkte der Pianist Ethan Iverson einmal. “Man muss zusammen spielen und genau zuhören, aber man muss auch seinen eigenen Weg gehen.”
Da hilft es natürlich, dass das Quartett mit Iverson, Turner und Hart gleich drei hervorragende Komponisten in seinen Reihen hat. Iverson steuert vier kontrastreiche Kompositionen zum Repertoire von “Just” bei: das verschmitzt-schwebende “Chamber Music”, das vom Start weg eruptiv-motorische “Aviation”, den abstrakten Blues "South Hampton" und das wunderbar eingängige “Showdown”, das geradezu zum Mitsummen einlädt.
Mark Turner und Billy Hart trugen jeweils drei Stücke bei. Aus Turners Feder stammen der anmutig tänzelnde “Billy’s Waltz”, der auch ein Vehikel für bluesbewussten Swing ist, der Up-Tempo-Vamp “Top Of The Middle” und das sehr ausdrucksstarke “Bo Brussels”, dessen Thema sich immer wieder auf unerwartete Weise weiterentwickelt. Hart hat zwei seiner bekanntesten älteren Kompositionen neu arrangiert: “Layla Joy” (von seinem 1977 erschienenen Debütalbum “Enchance”) sowie “Naaj” (von “Rah”, aus dem Jahr 1988). Außerdem schrieb er das Titelstück des Albums, dessen nachdrücklicher Beat Erinnerungen an die Zeit wecken könnte, als er die treibende Kraft in der Band von Eddie Harris und in Herbie Hancocks “Mwandishi”-Sextett war. Dieses Ensemble lässt ältere Stücke auf neu erklingen. In der aktuellen Version von “Layla Joy” phrasiert Mark Turner zunächst in einem Coltrane-esken Balladenmodus, bevor das Quartett zu einer weiträumigen, forschenden Gruppenimprovisation übergeht.
In einem Interview, das die JazzTimes in der Anfangszeit des Quartetts mit Billy Hart führte, sagte dieser über seine Kollegen: “Sie sind brillante zeitgenössische Konzeptualisten. Ich kann meine älteren Stücke mit niemandem freier spielen als mit ihnen. Mark hat ein tiefes Verständnis für Coltrane, beherrscht aber auch das Vokabular von Lennie Tristano perfekt. Mit Ethan ist es, als würde man in der einen Minute mit Thelonious Monk oder Andrew Hill spielen und in der nächsten mit Herbie Hancock.” Das Billy Hart Quartet ist eine zukunftsorientierte Band gerblieben, die tief in der Jazzgeschichte verwurzelt ist.
Das erste ECM-Album, auf dem Billy Hart vor einem halben Jahrhundert in Erscheinung trat, war Bennie Maupins Klassiker “The Jewel In The Lotus”. In den 1990er Jahren kehrte er als Schlagzeuger von Charles Lloyds damaligen Quartett zu dem Label zurück und ist auf dessen Alben “The Call” (1993), “All My Relations” (1995), “Canto” (1997) und “Lift Every Voice” (2002) zu hören. 2003 gründete er dann sein sein eigenes Quartett mit Mark Turner, Ethan Iverson und Ben Street. Nach dem titellosen Debütalbum dieser Formation, das 2006 bei High Note erschien, brachte ECM Records 2012 das zweite Album “All Our Reasons” heraus. Für Ethan Iverson und Ben Street war es das Debüt bei ECM. Iverson nahm 2017 mit Mark Turner das Duo-Album “Temporary Kings” für das Münchner Label auf, während Billy Hart und Ben Street auf dem im selben Jahr erschienenen Album “Find The Way” als Rhythmusgruppe für den Pianisten Aaron Parks fungierten.  
Unter seinem eigenen Namen hat Mark Turner bei ECM bisher die Alben “Lathe Of Heaven” (2014) und “Return From The Stars” (2022) veröffentlicht, während er als Mitglied des kooperativen Trios Fly zusammen mit Jeff Ballard und Larry Grenadier die Alben “Sky & Country” (2009) und “Year Of The Snake” (2012) einspielte. Ben Street wiederum ist bei ECM auch auf zwei Alben eines anderen innovativen Schlagzeugveteranen hören: auf Andrew Cyrilles The Declaration Of Musical Independence” (2016) und “The News” (2021). Außerdem war er Teil des Quartetts, mit dem Ethan Iverson 2017 das Live-Album “Common Practice” aufnahm.