Der amerikanische Kritiker John Ballon bezeichnete John Coltranes Suite “A Love Supreme” einmal als das “vielleicht vollkommenste Gott gewidmete Kunstwerk seit Michelangelos Gestaltung der Sixtinischen Kapelle”. Der Jazzautor Ashley Kahn widmete diesem Meisterwerk des Jazz gleich ein ganzes Buch mit dem Titel “A Love Supreme – The Story Of John Coltrane’s Signature Album”. Und die vier Teile der legendären Suite wurden einzeln immer wieder von anderen Musikern zitiert oder interpretiert. An eine Neuaufführung des ganzen Werks (die in den Augen so manchen Jazzfans einem fast schon blasphemischen Akt gleichkommt) haben sich indes nur ganz wenige gewagt. Einer davon ist der Saxophonist Branford Marsalis.
Marsalis nahm die gesamte Suite erstmals im Dezember 2001 für das Album “Footsteps Of Our Fathers” auf. Nun folgt auf einer DVD eine rund 50minütige Live-Version der Suite, die im März 2003 im Bimhuis in Amsterdam aufgezeichnet wurde. “Wir hatten mit ‘A Love Supreme’ eigentlich schon so ziemlich abgeschlossen hatten, als wir auf diese Europa-Tournee gingen, aber meine Managerin sah das etwas anders”, meint Branford Marsalis trocken. “Nachdem sie unsere Aufführung der Suite im Bottom Line gehört hatte, bestand sie darauf, einen Auftritt auf Film festzuhalten. Also sprach sie wegen dieses Projekts Pierre an, der auch gleich zusagte.” Pierre Lamoureux ist ein kanadischer Filmmacher, der bereits mehrfach mit exzellenten Musikfilmen auf sich aufmerksam machte. So führte er bei dem vor kurzem mit einem Emmy ausgezeichneten Harry-Connick-Jr.-Special “Only You In Concert” Regie, aber auch schon bei Live-DVDs von Alanis Morissette oder der Rockgruppe Rush. “Pierre achtet sehr darauf, daß seine Film genauso gut klingen, wie sie gefilmt sind”, betont Branford. “Und das Angebot, von Pierre im Bimhuis gefilmt zu werden, war einfach zu gut, als daß ich es hätte ausschlagen können.”
Branford hält sich auch mit seiner Begeisterung über den Amsterdamer Club nicht zurück, der – seit er 1973 die Pforten öffnete – eine der wichtigsten europäischen Spielstätten für Jazz ist. “Ich hatte dort nur einmal zuvor gespielt – 1981 mit Art Blakey – und wollte seitdem immer mal mit meiner eigenen Band im Bimhuis auftreten”, sagt er. “Es ist einfach einer der zwei oder drei besten Jazzclubs der ganzen Welt, weil die Räumlichkeit sehr intim ist und man sich dort auf die Präsentation der Musik konzentriert und nicht auf den Verkauf von Essen und Getränken. Es gibt zwar eine vom Konzertraum abgetrennte Bar, in der die Leute abhängen können, aber wenn man den Club selbst betritt, geht es nur noch um die Musik.”
Marsalis' international gefeiertes Quartett – mit Pianist Joey Calderazzo, Bassist Eric Revis und Schlagzeuger Jeff “Tain” Watts – konzentrierte sich natürlich auch ganz auf die Musik und bot eine Performance, die einen sowohl musikalisch als auch visuell fesselte. Neben dem Konzertmitschnitt enthält die DVD noch die Aufzeichnung einer halbstündigen Unterhaltung zwischen Branford Marsalis und Alice Coltrane, der Witwe John Coltranes und Pianistin von dessen letzter Band. Der Jazzjournalist Bob Blumenthal befragte darüber hinaus die Mitglieder des Branford Marsalis Quartet sowie die Saxophonisten Michael Brecker, Ned Goold, David Sánchez and Miguel Zenón u.a. dazu, welche Inspiration und musikalische Herausforderung Coltranes historische Suite für sie darstellt.
Während Coltrane seine Suite nur einmal live aufführte (1965 beim Festival Mondial du Jazz Antibes in Juan-les-Pins; die Aufnahmen findet man in der Deluxe-Edition von “A Love Supreme”), hatten Marsalis und seine Band, bevor sie ihren Auftritt von Lamoureux filmen ließen, mehrfach Gelegenheit gehabt, einzelne Teile der Suite oder auch das ganze Werk bei Konzerten zu spielen. “Wir sind definitiv erst so nach und nach in das Stück hineingewachsen. Deshalb freut es mich auch, daß Pierre uns filmte, als wir die Suite wirklich verstanden hatten”, meint Marsalis. “'A Love Supreme' verlangt jedem einzelnen Bandmitglied eine unglaubliche Konzentration ab. Als wir das Stück das erste Mal live gespielt hatten, saßen wir anschließend völlig erschöpft 20 Minuten lang in unserer Garderobe herum. So sieht man diese Band wirklich nicht allzu oft. Als wir dann schließlich im Bimhuis auftraten, waren wir der Herausforderung endlich gewachsen.”