Schon knapp drei Dekaden sind vergangen, seit der “Prince of Cool” des Jazz in Amsterdam tödlich verunglückte. Und noch immer ist nicht ganz ausgemacht, als was sich das ehemalige Band-Mitglied von Charlie Parker – vor die fiktive Wahl gestellt – wohl am ehesten selbst definiert hätte: als Sänger oder als Trompeter? Die Macher des französischen Chet-Baker-Hommage-Albums “Autour De Chet”, von Neo-Chansonier Benjamin Biolay bis zum diesjährigen ECHO-Jazz-Gewinner José James, haben auf diese Frage jetzt die wohl beste aller möglichen Antworten gefunden: Baker war beides, und noch viel mehr.
Was die insgesamt 16 sich vor einer der größten Jazz-Ikonen überhaupt Verbeugenden auf “Autour de Chet” fertiggebracht haben, ist nichts anderes als das Ideal einer Laudatio. Ihrer musikalischen Lobrede ist nicht nur gelungen, den Geist des oft als größten Romantiker des Jazz gefeierten Chet Baker heraufzubeschwören, es ist ihnen auch gelungen, seine Klassiker ins Hier und Jetzt zu holen und so einer neuen Generation vermittelbar zu machen, die “Chet Baker” sonst schlimmstenfalls für eine Backwaren-Kette halten könnte.
Deutlich wird das schon bei der Eröffnungsnummer: Das in Songform gegossene Lebensmotto Bakers – “Born To Be Blue” – wird hier interpretiert von Hugh Coltman und Erik Truffaz. Und beide, sowohl der Wahl-Pariser Vokalist als auch sein Kompagnon Truffaz, mithin das Aushängeschild für französischen Trompeten-Jazz, sorgen ganz massiv dafür, dass aus der fatalistischen Lebensbeichte ein fast schon trotziger Überlebensblues wird: “When life gives you lemons, make lemonade”.
Ähnlich ungewöhnlich dürfte auch die Bearbeitung von “Moon & Sand” durch das französisch-kubanisch Zwillingsschwestern-Duo Ibeyi einzustufen sein. Und das nicht nur, weil sie die von Baker ganz bewusst simpel und weitgehend dekorationsfrei gestalteten Gesangslinien erfolgreich zu komplexen Vokal-Konstruktionen umfunktionieren. Mit von der Partie ist hier auch das noch relativ junge französische Nationalheiligtum Benjamin Biolay. Allerdings diesmal nicht als Sänger oder Produzent, sondern ganz im Dienst der Sache, als zurückhaltender Trompeter.
Apropos zurückhaltend: Nicht alle der insgesamt zehn Songs lehnen sich interpretatorisch derart weit aus dem Fenster. So sind beispielsweise die Versionen von “Grey December”, “Let’s Get Lost” und “But Not For Me” von Sandra Nkake & Arielle Besson, Rosemary Standley & Stephane Belmondo sowie Elodie Frégé & Alex Tassel respektive nicht nur atmosphärisch viel näher an den Baker-Originalen. Diese – nennen wir es – Werktreue als falsch verstandene Zurückhaltung zu deuten, wäre unangebracht, denn wem es nach Chet-Baker-Interpretationen im Stile Metallicas oder Paul Van Dyks dürstet, der dürfte hier eh nicht auf seine Kosten kommen.
In diesem Sinne ist dann auch Jose James’ und Arielle Bessons außergewöhnliche Bearbeitung des Vokal-Standards “Nature Boy” noch einmal gesondert hervorzuheben. Die von Nat King Cole berühmt gemachte und hier mit großem Orchester eingespielte Ode an ein Leben im Einklang mit der Natur ist einerseits sehr nah dran an der Melancholie der Interpretation Bakers. Andererseits gehören sowohl Rhythmik als auch das freie und dennoch pointierte Trompeten-Spiel Bessons unmissverständlich zum Hier und Heut. Dass in Jose James’ Gesang das Wissen um bestimmte aktuelle Entwicklungen (von der Globalisierung bis zur Klimapolitik) mitschwingt, gibt dieser Song-Interpretation eine ganz besondere Note.
Ibeyi, Benjamin Biolay – Moon & Sand
José James, Airelle Besson – Nature Boy