Seit Chris Potter im Dezember 1992 kurz vor seinem 22. Geburtstag für das niederländische Independent-Jazzlabel Criss Cross sein Debütalbum “Introducing Chris Potter” aufnahm, scheint er seinen kreativen Elan kaum noch im Zaum halten zu können. Zehn weitere Alben unter eigenem Namen folgten in den nächsten vierzehn Jahren – und jedes einzelne wurde von Jazzkritikern in aller Welt in den höchsten Tönen gelobt. Auch als Sideman machte Chris Potter in den letzten anderthalb Jahrzehnten immer wieder von sich Reden: etwa auf Alben von Dave Holland, Lizz Wright, Dave Douglas, Paul Motian, John Patitucci, Steve Swallow, der Mingus Big Band sowie der wiederauferstandenen Jazz-Pop-Band Steely Dan. Jetzt beschert er uns mit “Follow the Red Line – Live At The Village Vanguard” und “Song For Anyone” einen Album-Doppelschlag. Auf diesen beiden neuen parallel veröffentlichten Meisterwerken präsentiert sich der Saxophonist mit musikalischen Konzepten, die sich diametral gegenüberstehen.
Mit seinem Quartett Underground zelebriert er auf “Follow The Red Line”, live aufgenommen im Village Vanguard, eine atemberaubend groovende Marathon-Jamsession, die einem beim bloßen Anhören den Schweiß in Sturzbächen auf die Stirn treibt. Potter und seine nicht minder brillanten Underground-Partner (Craig Taborn am Fender Rhodes, Gitarrist Adam Rogers und Schlagzeuger Nate Smith) erweisen sich als wahre Champions des improvisierten Spiels, die nicht eine Sekunde lang im Leerlauf verharren und bei all ihren abenteuerlichen Drehungen und Wendungen nie den im Titel des Albums erwähnten “roten Faden” verlieren. Ein besseres, spannenderes Live-Album kann man sich im zeitgenössischen Jazz kaum vorstellen.
Auf dem zweiten Album “Song For Anyone”, das er mit einem Tentett aufnahm, stehen hingegen vor allem Potters Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur im Mittelpunkt. Virtuos mischt der Saxophonist, der hier Tenor und Sopran spielt, die Klangfarben, die ihm die progressiv-kammermusikalische Besetzung mit Flöte (Erica von Kleist), Klarinette (Greg Tardy), Fagott (Michael Rabinowitz), Violine (Mark Feldman), Viola (Lois Martin), Cello (Dave Eggar), Gitarre (Steve Cardenas), Kontrabass (Scott Colley) und Schlagzeug/Perkussion (Adam Cruz) offeriert. Das erinnert in der Genialität etwa an den Stan-Getz-Klassiker “Focus” (mit Eddie Sauter) oder das Album “Rush Hour”, das Joe Lovano mit Hilfe von Gunther Schuller aufnahm.
Chris Potter kam am 1. Januar 1971 in Chicago zur Welt, zog mit seinen Eltern aber schon bald nach Columbia/South Carolina. Erste musikalische Experimente unternahm er im Alter von drei Jahren auf Gitarre und Piano. Wirklich ernst nahm er die Musik aber erst ab seinem zehnten Lebensjahr, als er – inspiriert von Paul Desmond und Johnny Hodges – begann Altsaxophon zu spielen. Kaum drei Jahre später beherrschte er das Instrument schon so gut, daß er öffentlich auftreten konnte. Als er 15 Jahre alt war, entdeckte ihn die legendäre Pianistin Marian McPartland (die ihm Jahre später auch den Weg zum Concord-Label ebnen sollte). McPartland war von Potters Talent so sehr begeistert, daß sie ihn an Woody Herman weiterempfehlen wollte. Doch Chris' Eltern bestanden vernünftigerweise darauf, daß er erst einmal seinen Schulabschluß machte. Als er diesen mit 18 Jahren in der Tasche hatte, spielte er neben Altsaxophon auch noch Tenor- und Sopransaxophon, Baßklarinette und Altflöte.
Derart musikalisch gerüstet zog er nach New York, um sich erst an der New School und danach an der Manhattan School Of Music den Schliff für einen professionelle Musikerlaufbahn zu holen. Zu seinen Lehrern gehörten u.a. der Pianist Kenny Werner, mit dem Potter bis heute eine tiefe Freundschaft verbindet (die beiden nahmen 1994 auch ein Duo-Album für Concord auf), und der Trompeter Red Rodney, in dessen Band der Saxophonist bis zum Tod des legendären Beboppers vier Jahre lang spielte.
Noch bevor er 1993 seinen Abschluß an der Manhattan School Of Music machte, nahm Chris Potter für Criss Cross sein erstes Album unter eigenem Namen auf. Danach konnte er sich vor Jobangeboten kaum noch retten und machte Gigs sowie Plattenaufnahmen mit u.a. Mingus Big Band, Paul Motian, Ray Brown, Jim Hall, James Moody, Dave Douglas und Mike Mainieri.
Längst hat sich der bescheiden wirkende Musiker zu einem der bedeutendsten Stilisten des Jazz gemausert, dem schon jetzt ein sicherer Platz im Olymp der besten Jazzsaxophonisten aller Zeiten gebührt. Bereits vor Jahren konstatierten Kritiker verblüfft, daß Chris Potter mit jedem neuen Album stärker und stärker wird. Noch haftet dem 36jährigen zwar der Ruf des “musicians' musician” an, aber dies dürfte sich mit den beiden neuesten Alben, die er nun parallel lanciert, wohl endgültig ändern.
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