Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß die internationale Kritikerriege des Down Beat Chris Potter bereits zweimal nacheinander zum “Rising Star of Tenor Saxophone” ernannt hat. Seit seinem Debütalbum “Presenting Chris Potter”, das der aus Chicago stammende Saxophonist schon mit 21 Jahren aufnahm, lieferte Potter mit jedem neuen Werk einen Beweis für seine rasante musikalische Entwicklung. Nun bringt der mittlerweile 35jährige mit “Underground” sein elftes Soloalbum heraus.
Auf “Underground” präsentiert Chris Potter seine neue Band mit Gitarrist Wayne Krantz, Keyboarder Craig Taborn und Schlagzeuger Nate Smith, der mit dem Saxophonisten auch im Dave Holland Quintet spielt. “Es macht mir wirklich Spaß, mit dieser Kombination von Leuten zu spielen”, meint Potter. “Wir vier haben eigentlich alle einen anderen musikalischen Background, harmonieren aber ganz ausgezeichnet miteinander.”
In Krantz engagierte Potter einen der eigenständigsten E-Gitarristen der zeitgenössischen Jazzszene. Krantz hat in den vergangenen 15 Jahren nicht nur sechs Alben unter eigenem Namen eingespielt (drei davon für das Münchner Enja-Label), sondern auf auf der Bühne und im Studio schon mit Steely Dan, Steps Ahead, Michael Brecker, Billy Cobham, Victor Bailey und Leni Stern gearbeitet. Der aus Detroit stammende Piano- und Orgelvirtuose Taborn arbeitete wiederum mit Musikern wie James Carter, Tim Berne, Mat Maneri, Dave Douglas, Bill Laswell, Susie Ibarra, Steve Coleman sowie Drew Gress und nahm drei Alben als Leader auf. Schlagzeuger Nate Smith schaffte den Durchbruch an der Seite der legendären Jazzvokalistin und Mentorin Betty Carter und stieß 2003 als Ersatz für Billy Kilson zum Dave Holland Quintet.
Gefunden hat sich dieses nicht alltäglich besetzte Quartett, zu dem bei zwei Tracks auch noch der Gitarrist Adam Rogers stößt, bei Sessions in der New Yorker 55 Bar, einem kleinen Jazzclub im Greenwich Village. Nach der Veröffentlichung des Live-Albums “Lift” (auf dem der Saxophonist mit Keyboarder Kevin Hays, Bassist Scott Colley und Drummer Bill Stewart zu hören war) probierte Potter bei seinen Auftritten in der 55 Bar, die vielen New Yorker Jazzmusikern als eine Art Experimentierfeld dient, verschiedene neue Besetzungen aus. Bis sich schließlich die vielversprechende Kombination mit Krantz, Taborn und Smith herauskristallisierte. “Ich arbeitete mit einer Menge unterschiedlicher Musiker, bis ich endlich den Eindruck gewann: Das ist die Band.”
“Was ich an Wayne besonders mag, ist sein Gefühl für Rhythmus. Und der Rhythmus spielt bei meiner neuen Band eine große Rolle”, meint Potter. “Ich war mir nicht sicher, ob ich in der Band einen akustischen oder elektrischen Baß haben wollte, und entschied mich letztendlich dafür, ganz auf einen Bassisten zu verzichten. Ich wollte allerdings auch nicht, daß Craig den Baß-Part auf der Orgel übernimmt. Er ist hier ausschließlich am Fender Rhodes zu hören und spielt die Baßlinien mit der linken Hand, so wie er es auch schon mal bei Tim Berne gemacht hat. Nate stieß ungefähr zur selben Zeit zu uns, als er auch in das Quintett von Dave Holland einstieg.” Bei einer Tournee, die das Quartett im vergangenen Jahr durch Europa unternahm, entwickelte sich dann die richtige Chemie zwischen den Musikern.
So überraschend wie die Besetzung ist auch das Repertoire dieser Band. Neben dem Billy-Strayhorn-Standard “Lotus Blossom” und Originalen aus der Feder von Potter enthält es auch Interpretationen zweier Popsongs: von dem Beatles-Klassiker “Yesterday” und dem Radiohead-Hit “Morning Bell”.