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Taumel der Klänge – ECM veröffentlicht EP von David Virelles

Er gilt als eine der hoffnungsvollsten Begabungen auf dem Feld der Jazz-Avantgarde. Jetzt veröffentlicht ECM eine EP von David Virelles: afro-kubanische Percussion, elektro-akustisch und von Jazz-Improvisation flankiert.
David Virelles
David Virelles© John Rogers / ECM Records
01.12.2016
Die Frage nach der Originalität von Kunstwerken treibt Kunstschaffende wie Publikum um. Jeder Komponist möchte eine eigene Tonsprache finden, und das Publikum, das sich modernen Kunstwerken gegenüber offen zeigt, verlangt nach überraschenden Klängen, nach Unerwartbarem. 
Indes gibt es nur wenige Komponisten, die so autonom sind, dass sie vollkommen neue Klangkonstellationen hervorzubringen vermögen. David Virelles ist einer von ihnen. Obgleich kein Rebell, der sich gegen die Zwänge der Überlieferung oder stilistische Einordnungen stellt, komponiert der kubanische Jazz-Pianist doch Musik, die man nur schwerlich einer Rubrik zuordnen kann.

Jenseits der Kategorien: David Virelles

Allenfalls kann man bei Virelles, wie es beispielsweise der Guardian tut, von einem “jazz-getränkten Weltmusik-Projekt” sprechen. Aber die britische Zeitung fügt treffend hinzu, dass sich dieses Projekt “jenseits der Kategorien” bewegt und der kubanische Pianist das schöpferische Zeug dazu hat, “auf Jahre hinaus große Dinge in der zeitgenössischen Musik zu bewegen”. Dieses Versprechen verdankt sich Virelles' ECM-Debüt Mbòkó (2014), worauf der Komponist Rhythmen afro-kubanischer Rituale mit modernen Sounds verband.
Führte Virelles hier schon eine kaum zu lokalisierende, exotische Klangwelt zwischen Tradition und Moderne vor, so intensiviert er auf seiner EP das entrückende Moment seiner Kompositionskunst. “Antenna”, so der Titel des sowohl in Vinyl als auch digital erscheinenden Albums, dringt in Klangsphären vor, die scheinbar alles Gewohnte abgestreift haben. Paradoxerweise geschieht dies jedoch im Rückgriff auf tradierte Rhythmen, die Virelles mit organischen Grooves, Field Recordings und kubanischer Straßenpoesie mischt.

Im Taumel der Klänge: Psychedelische Meditationen

Das Auftaktstück der EP, “Binary”, ist eine percussive Arbeit, bei der man zu Beginn und am Ende das Schaltgeräusch eines Kassettenrecorders oder Aufnahmegeräts hört. Die unmittelbar in Bann ziehenden Trommelrhythmen muten in dieser dramaturgischen Rahmung historisch oder ethnologisch an. Es ist, als ob der Komponist in eine Zeitmaschine gestiegen wäre, um an einem fernen Ort bislang noch unbekannte Trommelklänge aufzunehmen.
Mit “Water, Bird Headed Mistress” folgen sphärische Klänge, über die sich das Saxophon von Henry Threadgill mit einer ebenso unheimlichen wie spannungsvollen Meditation erhebt. Wie schon in Binary, so wird man auch hier unmittelbar ins musikalische Geschehen hineingezogen, bevor man mit “Threshold” in psychedelische Regionen gerät, die an Improvisationen von Jimi Hendrix auf Electric Ladyland erinnern. “Rumbakuá” überrascht mit Hip Hop-ähnlichen, schroffen Gesangsfrequenzen.
Mit dem von Klavierakkorden dominierten, jazzartigen “El Titán de Bronce” kehrt vorläufig eine gewisse Ruhe auf dem Album ein, bevor die archaischen Trommelwirbel von “Text” noch einmal an das Auftaktstück Binary erinnern. Auch hier vernimmt man wieder ein Schaltgeräusch, und so entsteht der Eindruck, man sei die ganze Zeit schon auf einer fernen Insel gewesen, wo vollkommen neuartig musiziert wird und man doch instinktiv begreift, worum es dabei geht. Kurz: Diese Musik klingt, allen Anleihen zum Trotz, wirklich neu.