Der Gitarrist Eivind Aarset gilt als einer der aufregendsten, individuellsten und kreativsten Repräsentanten der norwegischen Jazz-Underground-Szene. Sein Debütalbum “Électronique Noire” wurde in der New Yorker Times, dem amerikanischen Jazzmagazin Jazz Times und der britischen Publikation Jazzwise unisono als “eines der besten elektrischen Jazzalben der Post-Miles Davis-Ära” gefeiert. Entsprechend erwartungsvoll blickte die Jazzwelt der nächsten Veröffentlichung von Eivind Aarset entgegen.
Die liegt nun mit “Light Extracts” endlich vor und dürfte den hervorragenden Ruf des Gitarristen innerhalb der europäischen Nu Jazz-Szene festigen. Einmal mehr gleicht seine Musik einer Bestandsaufnahme des aktuellen Szenetreibens. Wieder kombiniert Eivind Aarset die aufregendsten Klänge des zeitgenössischen Jazz mit kühnen Improvisationen und den Beats der europäischen Club-Kultur. Aarsets Musik klingt deshalb so neu und schrankenlos, weil die einzigen Grenzen, die er als solche anerkennt (oder vielmehr: anerkennen muß), die Grenzen seiner eigenen Phantasie sind. Und an der Erweiterung oder Überwindung dieser arbeitet er beständig.
“Was mich zu dieser Sorte Musik hinzieht, sind die hypnotischen Grooves und die musikalische Freiheit, die ich in ihr finde”, sagt Aarset. "Bei dem, was ich mache, gibt es keine etablierten Regeln und keine Tradition. Man schafft sich die Regeln, während man spielt, einfach selbst. Rhythmus ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Musik, die Markierungspunkte in der Landschaft, durch die der Musiker reist. Wir betreten musikalisches Neuland, und ich habe keine Ahnung, wohin die Reise diese Szene letztendlich noch führen wird. Aber es gibt noch eine ganze Menge großartiger Klänge und neuer Musik zu kreieren, und das ist es, was diese Szene so aufregend macht.
Zwei Schlüsselstücke auf “Light Extracts” sind “Empatische Guitarren” und “Wolf Extract”. Die melancholisch-elegischen Sounds seiner “Empatischen Guitarren” wecken zunächst Erinnerungen an Spaghetti-Western- Filmmusik, verlieren sich dann aber in einer bizarren Ambient-Atmosphäre, bevor sie erneut auftauchen und nahtlos zu “Wolf Extract” überleiten. “Wolf Extract” wirkt wie eine zeitgemäße Reflexion über Miles Davis' “Bitches Brew”, wo die von einem coolen Groove unterlegte Musik innerlich zu brodeln scheint, aber erst spät wirklich an die Oberfläche bricht. Das Raffinierte ist, wie Eivind Aarset und seine Bandkollegen hier viele Dinge nur andeuten und so die weitere Marschrichtung des Stückes und des ganzen Albums nur verschleiert erahnen lassen.
Begleitet wird Eivind Aarset auf “Light Extracts” von Wibutee-Schlagzeuger Wetle Holte, Beady Belles Co-Mastermind Marius Reksjø am Baß, Keyboarder Arve Furset und dem dänischen Baßklarinettisten Hans Ulrik, den Eivind Aarset kennenlernte, als sie zusammen in Marylin Mazurs Band Future Song spielten. Als Gast ist auch noch Trompeter Nils Petter Molvær dabei.
Als einer der gefragtesten norwegischen Musiker ist Eivind Aarset festes Mitglied von Nils Petter Molværs Band, die als erste die Klänge des norwegischen Jazz-Untergrundes ins europäische Rampenlicht rückte. Auch an der Einspielung der beiden wegweisenden Molvær-Alben “Khmer” und “Soild Ether” war der Gitarrist beteiligt. Außerdem wirkte Eivind Aarset schon auf über 150 Alben von so unterschiedlichen Musikern wie Ray Charles, Dee Dee Bridgewater, Ute Lemper, Ketil Bjørnstadt, Mike Mainieri, Arild Andersen, Abraham Laboriel und Django Bates mit.
Eivind Aarsets musikalisches Schlüsselerlebnis war, als er als Zwölfjähriger erstmals Jimi Hendrix hörte. “Nachdem ich ihn gehört hatte, kaufte ich mir sofort eine Gitarre”, erinnert sich Aarset lachend. “Ich kaufte in einem Second-Hand-Laden eine Hendrix-Platte und dann legte ich los. Danach zog ich mir Rockbands wie Deep Purple, Black Sabbath, Santana und Pink Floyd rein. Erst danach machte mich mein Bruder mit der Musik von Miles Davis, dem Mahavishnu Orchestra, Weather Report und Return To Forever bekannt. Später entdeckte ich durch Jan Garbarek den ECM-Sound, und natürlich beeinflußte mich Terje Rypdal sehr stark. Schließlich wurde ich flügge und ging vollzeit mit einer Heavy Metal-Band auf Tournee. Eine fantastische Erfahrung, bis ich die Nase davon voll hatte, jeden Abend den Wütenden zu markieren! Also stieg ich aus und schlug mich als Sessionmusiker durch.”
Eine wirklich eigene Instrumentalstimme begann Eivind Aarset aber erst zu entwickeln, als er in der Band Ab & Zu mitspielte. Der nächste Zwischenstopp war ein Ensemble des Saxophonisten Bendik Hofseth, der damals Michael Brecker bei Steps Ahead abgelöst hatte. Danach begab sich Aarset in den norwegischen Jazz-Untergrund, wo er den Keyboarder und Szene-Guru Bugge Wesseltoft kennenlernte und schließlich zu seiner eigenen Stimme, so wie wir sie heute kennen und schätzen, fand. 1998 konnte Eivind Aarset auf Wesseltofts jungem Label Jazzland Records endlich sein Debütalbum “Électronique Noire” veröffentlichen, das überall mit großer Begeisterung aufgenommen wurde. Kraftvolle, aber zugleich auch verstörend mysteriös anmutende Tracks wie “Dark Moisture” und “Entrance/U-Bahn” machten deutlich, daß mit Eivind Aarset ein neuer zeitgenössischer Jazzer die Szene betreten hatte, der gewillt war, die Musik auf ein neues Level an Intensität, Tiefe und Erregung zu führen. Für manche war dies schon der Klang des heraufziehenden neuen Milleniums.
“Light Extracts”, die jüngste Zwischenstation auf Eivind Aarsets musikalischer Odyssee, streift die Ketten gestriger Klänge ab, um die musikalische Evolution durch ständige Transformation voranzubringen. Die Klangmöglichkeiten der Zukunft sind noch lange nicht ausgeschöpft. Und es sind Musiker wie Eivind Aarset, die uns dies mit ihren Alben immer wieder vor Augen und Ohren führen.