Eine alte Weisheit besagt: Aller guten Dinge sind drei. Doch wenn man sich Eivind Aarsets viertes Album “Sonic Codex” so anhört, ist man versucht, den Spruch etwas salopp zu ergänzen: Und das beste Ding ist Nummer vier. Denn nach drei durchweg starken Alben, die von der internationalen Jazzkritik mit selten einhelliger Begeisterung aufgenommen wurden, liefert der norwegische Gitarrist nun mit “Sonic Codex” ein noch stärkeres und zugleich höchst abwechlungsreiches Album ab.
Als Eivind Aarset 1998 mit seinem Album “Électronique Noire” bei
Jazzland Recordings debütierte, erhielt er das wahrscheinlich schmeichelhafteste Lob ausgerechnet vom Jazzkritiker der ehrwürdigen New York Times: dieser bezeichnete “Électronique Noire” als “eines der besten elektrischen Jazzalben seit Miles Davis”. Der All Music Guide attestierte dem Gitarristen, einen neuen Standard für Fusionmusik gesetzt zu haben. Als Aarset drei Jahre später mit “Light Extracts” sein zweites Album herausbrachte, hieß es an gleicher Stelle, das Album sei allen anderen Veröffentlichungen dieses Genres um Lichtjahre voraus. Weitere drei Jahre danach folgte das Album “Connected” (2004), das den BBC-Kritiker Chris Jones zu der Bemerkung veranlaßte, daß Jazzland Recordings mit diesem Album wieder einmal dem eigenen vorlauten Anspruch, eine neue Jazzkonzeption zu präsentieren, gerecht geworden sei.
Daß Eivind Aarset die Jazzwelt mit seinen Alben immer wieder aufs Neue überrascht, liegt vielleicht auch daran, daß er sich jedesmal drei Jahre Zeit läßt, bevor er ein neues präsentiert. So hat er reichlich Zeit, neue Inspiration zu finden, seine Ideen wirklich ausreifen zu lassen und auch einen gewissen Abstand zu der Musik seines letzten Albums zu gewinnen.
Viele der neuen Kompositionen von “Sonic Codex” besitzen geradezu kinematographische Qualitäten und dürften im Kopf des Hörers unterschiedlichste Szenarien entstehen lassen. Vor dem inneren Auge werden dabei aber keine (die üblichen norwegischen Klischees bedienenden) Bilder von nordischen Schnee- und Eislandschaften vorbeiziehen, sondern eher von unter südlicher Sonne flirrenden kargen Weiten, aus denen wie Fata Morganas immer wieder wunderbare Melodien aufsteigen und sich wieder verflüchtigen, oder von hektischen Großstadtdschungeln, in denen man allerdings stets auch überraschende Oasen der Ruhe findet. Durch dieses ständige Spiel mit Kontrasten bleibt Eivind Aarsets Musik unberechenbar und zugleich ungeheuer fesselnd. Zu den Höhepunkten des neuen Albums gehört zweifellos das wunderbar eingängige, irgendwie recht vertraut klingende “Still Changing”. Tatsächlich basiert das Stück auf den musikalischen Genen von “Empathic Guitar”, einer Nummer von Aarsets zweitem Album “Light Extract”, die der Gitarrist auf “Connected” schon einmal in einem gänzlich anderen Gewand als “Changing Waltz” präsentiert hatte. Es ist schon erstaunlich, wie raffiniert Eivind Aarset dieses musikalische Thema sowie die Harmonien und Rhythmen des Originals zu variieren versteht.
Eingespielt hat Eivind Aarset die neun Kompositionen von “Sonic Codex” in erster Linie mit dem Schlagzeuger Wetle Holte (Wibutee) sowie den alternierenden Bassisten Audun Erlien (Nils Petter Molvær, Bendik Hofseth) und Marius Reksjø (Beady Belle). Einige besondere Akzente setzen aber auch der Klarinettist Hans Ulrik und Banjospieler Tor Egil Kreken, der im erwähnten “Still Changing” zu hören ist. Mit der aufregenden Musik von “Sonic Codex” beweist Aarset einmal mehr, daß er einer der innovativsten Vordenker des zeitgenössischen Jazz ist.