Gegenteile ziehen sich an, heißt es oft. Eines der wunderbarsten Beispiele dafür waren die einzigartigen Duette zwischen Ella Fitzgerald und Louis Armstrong, die das Time Magazine 2011 zu den “zehn besten musikalischen Zusammenarbeiten aller Zeiten” rechnete. “Jeder für sich war bereits ein Jazzgigant”, konnte man dort lesen. "Insofern war es nicht verwunderlich, dass ihre Kollaboration den Stoff für eine Legende bot. […] Ihr süßer, intonationssicherer Gesang vermischte sich mühelos mit Armstrongs tieferer Reibeisenstimme. "Als Nachtrag zu Ellas hundertstem Geburtstag, der 2017 weltweit gefeiert wurde, erscheint nun das 4-CD-Set “Cheek To Cheek – The Complete Duet Recordings”, das erstmals sämtliche Aufnahmen versammelt, die Fitzgerald und Armstrong gemeinsam für die Labels Decca und Verve gemacht haben. Die aus 75 Tracks bestehende Kollektion enthält neben neu gemasterten Versionen der zeitlosen Verve-Alben “Ella And Louis”, “Ella And Louis Again” und “Porgy And Bess” auch all ihre Decca-Singles, 1956 gemachte Live-Aufnahmen von “Jazz At The Hollywood Bowl”, verschiedene alternative Takes sowie bislang unveröffentlichtes Material. Abgerundet wird die umfassende Sammlung durch einen Essay des Louis-Armstrong-Experten Ricky Riccardi, seltene Fotos und detaillierte Anmerkungen zu den Aufnahmen.
Das erste Mal als Duo zusammengebracht wurden Ella Fitzgerald und Louis Armstrong von Decca-Chef Milt Gabler, als beide bei dem Label unter Vertrag standen. Für die erste Session im Januar 1946 ließ sie der Produzent den neuen Song "You Won’t Be Satisfied (Until You Break My Heart) "und den kurz zuvor erschienenen Nat-King-Cole-Hit “The Frim Fram Sauce” einsingen. Die erste Nummer wurde zu einem Jukebox-Hit und ließ bereits erahnen, welche Magie sie zusammen entfalten konnten. In den kommenden Jahren fanden sie sich für acht weitere Single-Aufnahmen zusammen, die in dieser Box nun in der Reihenfolge ihrer ursprünglichen Veröffentlichung präsentiert werden.
Doch das wahre künstlerische und kommerzielle Potenzial des Gespanns sollte erst Fitzgeralds Manager Norman Granz erkennen. Einen Tag vor der gebuchten Aufnahmesession für das erste gemeinsame Album “Ella And Louis” präsentierte der Impresario das Duo bei einem von ihm organisierten “Jazz At The Hollywood Bowl”-Konzert in Los Angeles. Bei diesem raren, improvisierten Auftritt sangen sie die Songs “You Won’t Be Satisfied” und “Undecided”, die man auf der vierten CD der Box finden kann. Am 16. August 1956 ging es dann in die nahegelegenen Capitol Studios. “Mein Plan war, von den beiden so viele Aufnahmen wie möglich zu machen”, sagte Granz später. “Denn ich hatte jede Menge Ideen im Kopf, was ich mit Louis und Ella machen könnte.” Als Begleiter verpflichtete der Produzent das virtuose Oscar Peterson Quartet mit Gitarrist Herb Ellis, Bassist Ray Brown und Schlagzeuger Buddy Rich. Innerhalb eines einzigen Tages wurden die elf Songs aufgenommen, die noch im Herbst 1956 unter dem Titel “Ella And Louis” herauskamen. Das Album war ein großer kommerzieller Erfolg und schlug auch bei den Kritikern ein. Down Beat gab ihm die Höchstwertung von fünf Sternen und im November erreichte “Ella And Louis” den ersten Platz in den Jazz-Charts von Billboard.
Im Laufe des Jahres 1957 nahm Granz mit Fitzgerald und Armstrong die beiden anderen Verve-Alben auf, die ebenfalls als Klassiker gelten. Auf dem Doppelalbum “Ella und Louis Again” zeigten sie in Songs wie dem unwiderstehlichen “Let’s Call The Whole Thing Off”, dem ausgelassenen “Stompin' At The Savoy” und der Ballade “Autumn In New York” wie sehr die Chemie zwischen ihnen stimmte. Doch diesmal traten beide in einigen Nummern auch als Vokalsolisten in Erscheinung. Begleitet wurden sie erneut vom Oscar Peterson Quartet, diesmal mit Louie Bellson an den Drums. Vier weitere Duette sangen sie schließlich für ihre Version der Gershwin-Jazzoper “Porgy And Bess” ein. Das Duo erreichte hier den Zenit seines Könnens. Unterstrichen wird das durch die Art und Weise, wie nahtlos sie sich in Songs wie “Summertime” und “Bess, You Is My Woman Now” beim Singen und Scatten abwechselten.
“Es schien nie so, als würden wir wirklich aufnehmen, weil er immer so ausgelassen war”, meinte Ella einmal über die Zusammenarbeit mit Louis. “Er kam rein, als ob es nichts Besonderes wäre – er wollte einfach nur Spaß haben. Und ich habe es immer vermasselt. Ich fand es so faszinierend, ihn zu beobachten, dass ich manchmal meinen Einsatz verpasste. Er nahm alles auf die leichte Schulter, rief mir kurz ‘Sing es, Ella!’ zu, redete und riss Witze und stellte sonstwas an, so dass man nie wusste, ob man singen oder lachen sollte. Er war einfach so drauf.”
Glaubt man den Erzählungen von Russ Garcia, der für das Paar die Orchesterarrangements für “Porgy And Bess” schrieb, strapazierte Louis mit seinen Späßen oft die Geduld der durch und durch professionellen Ella. “Louis nervte sie manchmal ein bisschen”, erinnerte sich Garcia später einmal lachend. “Wenn sie eine schöne Passage sang, platzte er mit seiner knurrenden Stimme herein. Sie warf ihm dann kurz einen scharfen Blick zu und machte weiter. Für eine Sekunde brachte es sie aus der Bahn. Aber es klappte letztendlich immer wunderbar. Einige Leute nennen das Album ‘Schlagsahne und Schmirgelpapier’.”