Pure Klangmagie: Wie man mit weniger Tönen mehr Wirkung erzielt
In einem kleinen intimen Kreis mit u.a. dem Tenorsaxofonisten Charles Lloyd und der jungen portugiesischen Sängerin Maro hat der Pianist Gerald Clayton sein zweites Blue-Note-Album “Bells On Sand” eingespielt.
“All seine Stücke haben einen lyrischen und ätherischen Ansatz”, schrieb der US-amerikanische Kritiker Michael G. Nastos einmal über den Pianisten Gerald Clayton, “schwer greifbar, geschmeidig, leichtfüßig, Zen-artig, sehr artikuliert und immer so faszinierend, dass sie einen verlocken, in ihren Bann ziehen und die Seele umfangen.” Obwohl sich diese Worte auf Claytons Debütalbum “Two-Shade” von 2009 bezogen, beschreiben sie nahezu perfekt auch den Großteil der Musik seines neuen Albums “Bells On Sand”. Die zehn Stücke, überwiegend Eigenkompositionen, sind oft von einer ebenso betörenden wie schlichten Innigkeit geprägt. Die Musik scheint förmlich zu atmen, entfaltet sich behutsam und in sanften Wellen, die gelegentlich aber auch kunstvoll gebrochen werden.
Tatkräftige Unterstützung erhielt Gerald Clayton bei der Einspielung des Albums von drei Musikern, zu denen er eine ganz besonders enge Verbindung hat: seinem Mentor Charles Lloyd am Tenorsax, seinem Vater John Clayton am gestrichenen Kontrabass und dem Schlagzeuger Justin Brown, der bereits seit 2009 Geralds verlässlicher Weggefährte ist.
Außerdem präsentiert er in zwei Nummern die erfrischende Stimme von Mariana Brito da Cruz Forjaz Secca, kurz Maro genannt. Die junge Sängerin und Songschreiberin, die schon 2019 auf Jacob Colliers “Djesse, Vol. 2” gastierte, wird Portugal dieses Jahr beim Eurovision Song Contest vertreten und diesem oft geschmähten Wettbewerb ein wenig ungewohnte Klasse verleihen.
“Bells On Sand” handelt zum einen vom Einfluss und der abstrakten Kraft der Zeit, spiegelt zum anderen aber auch Gerald Claytons intensive Auseinandersetzung mit den Werken des katalanischen Komponisten Federico Mompou (1893–1987) wider. Dessen Einfluss auf Clayton wird gleich in “Water’s Edge”, dem ersten Stück des Albums, deutlich, das eine Variation über Mompous “Paisajes: II. El lago” zu sein scheint. Im Anschluss daran interpretiert er mit “Elegia” und “Damunt de tu Només les Flors” zwei besonders schöne, minimalistisch anmutende Werke von Mompou, der beim Komponieren der Maxime folgte, “keine Note zu viel und keine Note zu wenig zu schreiben”. Ein Leitsatz, mit dem sich auch Gerald Clayton identifizieren kann.
“Mompous Musik ist so meisterhaft gestaltet, seine Voicings sind so sparsam verteilt, dass es nicht notwendig scheint, ihr noch etwas Eigenes hinzuzufügen”, sagt Clayton. “Meine Versuche, Melodien über seine Harmonien zu komponieren, fand ich selbst wenig überzeugend. Ich kehrte unweigerlich zu dem zurück, was er geschrieben hatte.”
Maro, die mit ihrer leicht rauchigen, aber engelsgleichen Stimme “Damunt de tu Només les Flors” ein Glanzlicht aufsetzt, kehrt später in “Just A Dream” zu einem unter die Haut gehenden Duett mit dem Pianisten zurück.
Dasselbe Format wählte Clayton auch für das hymnisch-meditative Stück “Peace Invocation”, nur dass sein Partner diesmal der unvergleichliche Charles Lloyd mit seinem singenden Tenorsaxophon ist. Progressivere Töne schlägt Clayton dann in der entspannt jazz-funkigen Nummer “That Roy” an, in der er selbst neben Klavier auch Orgel, Fender Rhodes und Vibraphon spielt und ansonsten nur von Justin Brown am Schlagzeug begleitet wird. Gewidmet ist das Stück wohl dem 2018 verstorbenen Trompeter Roy Hargrove, mit dem Gerald vor dem Start seiner Solokarriere arbeitete.
In drei Stücken von “Bells On Sand” präsentiert sich Gerald Clayton wiederum als Klaviersolist. Zunächst interpretiert er raffiniert auf sehr unterschiedliche Weise zweimal den von Leo Robin, Richard A.
Whiting und Newell Chase komponierten Standard “My Ideal”. Und dann lässt er das durchweg faszinierende Album wunderbar mit “There’s Music Where You’re Going My Friends” solo ausklingen. Das Stück, in dem munter Elemente von Blues, Spiritual und Gospel vermischt werden, stammt aus der Feder seines im Dezember 2020 verstorbenen Onkels Jeff Clayton, einem Altsaxofonisten und Flötisten, mit dem er einst in der Familienband The Clayton Brothers zusammenspielte.