Mit der Belagerung von Sarajevo, die 1.425 Tage andauern sollte, begann vor genau 25 Jahren eines der traurigsten Kapitel der Hauptstadt des heutigen Bosnien und Herzegowina. Ethnisch-religiöse Konflikte erschütterten die Stadt damals bis in ihre Grundfeste. Für sein neues Album “Three Letters From Sarajevo” ließ sich der bosnische Filmkomponist und Bandleader Goran Bregović jetzt von der wechselvollen Geschichte seiner Heimatstadt, ihrer besonderen Identität und ihren verschiedenen Glaubengruppen sowie ihren Verschmelzungen und komplexen Paradoxen inspirieren.
Im Herzen Europas gelegen, war Sarajevo nacheinander Teil des Römischen, Byzantinischen und Osmanischen Reiches sowie Österreich-Ungarns. Jedes dieser Reiche drückte Sarajevo seinen eigenen Stempel auf, auch in religiöser Hinsicht. Im 16. Jahrhundert verschlug es die aus Spanien verbannten sephardischen Juden in dieses kleine “Jerusalem des Balkans”, wo sie fortan mit den bereits vorhandenen Katholiken, Muslimen und orthodoxen Christen zusammenlebten. Sarajevo wurde so zu einer Stadt der vier Religionen und einer Metapher für friedvolles Miteinander. Noch während des zweiten Weltkriegs versteckten beispielsweise Muslime die Juden vor dem gemeinsamen Feind. Vor 25 Jahren aber, nach dem Zerfall Jugoslawiens, wurde Sarajevo zu einem Symbol für unvorstellbare Gewalt und Hass.
In seinen “Three Letters From Sarajevo” hat Goran Bregović nun versucht, die Religionen der Stadt wieder auf harmonische Weise zu einen. Die Songs, die er für dieses ambitionierte, aber auch ungemein kurzweilige Projekt komponierte, sollen die kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt Sarajevos widerspiegeln. Repräsentiert werden die unterschiedlichen Gruppen dabei zum einer Reihe von großartigen Vokalisten, die in Spanisch, Hebräisch, Arabisch, Englisch und Serbokroatisch singen: der algerische Raï-Punk-Rocker Rachid Taha, die ebenso coole wie dramatische spanische Sängerin Bebe, die Songschreiberin und Sängerin Riff Cohen, die zwar als Jüdin in Israel zur Welt kam, aber tunesisch-algerische Wurzeln hat, der israelische Indie-Folk-Rocker Asaf Avidan und das bosnische Duo Sifet & Mehmed.
Im Fokus stehen zudem drei Geigensolisten, von denen jeweils einer in der westlichen (die Serbin Mirjana Nešković), der orientalischen (der Tunesier Zied Zouari) und der Klezmer-Tradition (der Israeli Gershon Leizerson) spielt. Bei drei längeren Instrumentalstücken arbeitete Bregović, der hier natürlich auch sein in der ganzen Welt populäres Weddings And Funerals Orchestra zu Zuge kommen lässt, außerdem mit einem Sinfonieorchester zusammen.
Nur wenige Musiker haben es geschafft, wie Goran Bregović ein musikalisches Spektrum zu entwickeln, das eine solche Bandbreite an Stilen und Techniken abdeckt, aber dabei eine ganz eigene Identität besitzt. Bregovićs sofort identifizierbare Werke scheinen unterschiedlichste Hörer anzusprechen, unabhängig von ihrer Rasse, ihrem Geschlecht, ihrem Alter oder ihrem Glauben. Mit “Three Letters From Sarajevo” möchte er Mauern einreißen und Grenzen öffnen. Und musikalisch ist ihm das hier auch hervorragend gelungen.