Gregory Porter – wie ein zeitgenössischer Marvin Gaye
Mit den neuen, durchweg selbstverfassten Liedern von “All Rise” festigt Gregory Porter eindrucksvoll seinen Ruf, einer der besten Songwriter und Sänger des aktuellen Jazz und Rhythm’n'Blues zu sein.
Gregory Porter - All Rise
27.08.2020
Standards aus dem “Great American Songbook” zu interpretieren, war eigentlich nie so wirklich Gregory Porters Metier. Er mischte sie in den zurückliegenden zehn Jahren zwar vereinzelt unter sein Repertoire, profilierte sich aber viel lieber selbst als ideenreicher Songwriter. Mit wunderbaren Liedern, die ihn wechselweise als sozialkritischen oder romantischen Poeten mit Sinn für clevere Wortspiele und unwiderstehliche Melodien zeigten. Zuletzt tat er dies vor vier Jahren auf dem Album “Take Me To The Alley”, für das er 2017 seinen zweiten Grammy erhielt. Danach erschienen noch zwei in Europa aufgezeichnete Live-Mitschnitte und natürlich seine wunderbare Hommage an den Crooner Nat King Cole. Doch eigentlich dürstete es viele Fans in all dieser Zeit nach neuem Eigenmaterial von ihrem Idol. Diesen Wunsch erfüllt ihnen Gregory Porter nun endlich mit seinem sechsten Studioalbum “All Rise”. “Man könnte sagen, dass ich hier aufs Ganze gegangen bin”, meint der 48-Jährige stolz. Und unüberhörbar ist in jedem Moment auch, wie wohl er sich dabei gefühlt hat. Wie ein zeitgenössischer Marvin Gaye verwischt er auf “All Rise” die Trennlinien zwischen Jazz, Soul, Gospel, Rhythm’n’Blues und Pop und reiht Ohrwürmer von erstaunlicher Qualität aneinander. Das ist der Gregory Porter, den alle lieben. Und er ist besser denn je!
Für die Aufnahmen von “All Rise” kombinierte Porter die exzellenten Musiker seiner langjährigen Band mit einer handverlesenen Bläsersektion, einem zehnköpfigen Gospel-Chor und den Streichern des London Symphony Orchestra. “Wenn ich die Musik im Kopf komponiere, passiert alles zunächst nur mit Stimme und Klavier und entwickelt sich von da aus weiter”, erklärt er. “Es fühlt sich gut an, wieder zurückzukehren zu den Rhythmen und Stilen und Gefühlen und der Art und Weise, wie ich meine eigene Musik von Anfang bis Ende festlege.”
“Auf dieser Platte wollte Gregory neue Dinge ausprobieren und ließ deshalb in seiner typischen Manier – und ganz bewusst – die Sessions für Spontaneität offen”, erläutert Troy Miller, der das Album gemeinsam mit Kamau Kenyatta produziert hat. “Unterstützt wurde er dabei von seiner Band, die ihn schon seit vielen Jahren auf Tourneen begleitet. Das sorgte für eine wirklich kreative und gemeinschaftliche Atmosphäre.”
Tatsächlich ist Porter auf “All Rise” ganz in seinem Element, scheint sich wie ein Fisch im Wasser zu fühlen. In den Songs erzählt er zum einen von sehr persönlichen Erfahrungens, philosophiert zum anderen über die Liebe, bringt aber auch einige kritische Themen zur Sprache, die ihm am Herzen liegen. So setzt er sich etwa in “Mister Holland” mit Rassismus auseinander, während “Merchants Of Paradise” von Kindersoldaten handelt. Im britischen Jazz Journal verglich Ian Lomax die neuen Songs mit den schon zu Klassikern gereiften Gregory-Porter-Hits “Hey Laura”, “Holding On” und “Take Me To The Alley” und bilanzierte: “Dies ist mehr als nur ein gutes Album – es ist ein großartiges.”