“Als wir die Bühne betraten, schien es, als wären wir heimgekehrt”, sagt Jakob Bro über diese im lyrischen Gestus weit ausholende und emotional aufgeladene Live-Aufnahme aus Kopenhagen. Bei dem Konzert im Februar
2023 hatten sich drei der wichtigsten Protagonisten der improvisierten Musik in Dänemark – führende Jazzmusiker aus drei Generationen – zusammengefunden. Besonders ergreifend war das Konzert, weil es die Rückkehr des Trompeters Palle Mikkelborg auf die Bühne markierte. Der 82-Jährige stellt sein stets wohldurchdachtes und für ihn charakteristisches Spiel bei dem Auftritt ganz in den Dienst des Gruppenkontextes.
Das Repertoire stammt überwiegend aus der Feder von Bro, enthält aber auch ein Stück von Mikkelborg (“Youth”) und eine Gemeinschaftskomposition der beiden (“Returnings”), und wird mit spontanem und erkundungsfreudigem Geist angegangen. Das Material, das von den Bro-Alben “Returnings” (2018) und “Gefion” (2015) her bekannt sind, wird behutsam umgewandelt und neu erfunden. Dabei verschmelzen die subtilen perkussiven Töne, die Marilyn Mazur ihren aufblühenden Gongs, mit Bogen gestrichenen Metallplatten und donnernden Trommeln entlockt, mit den dahintreibenden und sich kräuselnden Klangwellen von Bros Gitarre. Die atmosphärischen Qualitäten der Musik und auch ihre eruptiven Momente werden durch die nachhallende Akustik der Danish Radio Concert Hall noch verstärkt. In seiner Konzertkritik für das dänische Musikmagazin Gaffa schrieb Ivan Rod: “Eine knappe Stunde in der Gesellschaft von Mikkelborg, Mazur und Bro und die Welt hatte sich verändert. Gewohnte Frameworks hatten sich durch offensichtliche Momente von Schönheit und unterschwelliger Ruhe verwandelt.”
Jakob Bro und Palle Mikkelborg, die schon seit vielen Jahren miteinander befreundet sind, hatten sich lange über Möglichkeiten der Zusammenarbeit in verschiedenen Idiomen unterhalten. Vor gut zehn Jahren begannen sie, regelmäßig miteinander zu spielen. Improvisationen mit Jon Christensen und Thomas Morgan setzten Ideen in Bewegung, die schließlich 2018 in dem Album “Returnings” mündeten. Zwei Jahre später übernahm Marilyn Mazur die Rolle der Perkussionistin: “Es schien eine natürliche Erweiterung der Musik zu sein, die sich seither weiterentwickelt hat”, sagt Jakob Bro. Zur sich konstant verändernden Natur der Musik fügt er an: “Die Musik hat Luft und gibt uns große Freiheit. Und wir haben den gemeinsamen Wunsch, etwas zu erschaffen, das man nicht unbedingt erklären, aber fühlen kann.”
“Es ist eine Sinnsuche”, sagt Mikkelborg über sein Lebenswerk als improvisierender Musiker in dem Dokumentarfilm “Music For Black Pigeons”, den Jørgen Leth und Andreas Koefed über Jakob Bro gedreht haben (und der gegenwärtig auf vielen Festivals gezeigt wird). “Gibt es einen Sinn? Und wenn ja, kann ich ein Teil davon sein? Manchmal werde ich daran erinnert, dass es einen gibt.”
Marilyn Mazur (Jahrgang 1955) und Palle Mikkelborg (Jahrgang 1941) haben eine gemeinsame musikalische Geschichte, die weit zurückreicht. Marilyn wirkte 1985 an der Einspielung von Palles groß angelegtem Kompositionwerk “Aura” mit, das Miles Davis gewidmet war. Für Miles, der selbst als Solist in Erscheinung trat, sollte es die letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Aufnahme sein (das Album erschien erst 1989). Von Marilyn Mazur war der Trompeter so beeindruckt, dass er sie anschließend in seine Tourband holte.
Sowohl Mazur als auch Mikkelborg waren an vielen Aufnahmen für ECM Records beteiligt. Palles Diskographie umfasst allein fünf Alben mit Terje Rypdal, darunter mit “Waves” und “Descendre” zwei Klassiker der späten 1970er Jahre. Zu hören ist der Trompeter auch auf ECM-Alben mit Edward Vesala, Gary Peacock, George Gruntz, Dino Saluzzi und Charlie Haden sowie L. Shankar. Mazur hat bei ECM nicht nur drei Alben unter eigenem Namen herausgebracht – “Small Labyrinths” (1997), “Elixir” (2008) und “Celestial Circle” (2011) -, sondern auch an Aufnahmen von Jan Garbarek, Jon Balke, Eberhard Weber und Ketil Bjørnstad mitgewirkt.
“Elixir” präsentierte die Perkussionistin teils in Soloaufnahmen, teils in intimen Duoaufnahmen mit dem Saxophonisten Jan Garbarek, dessen Gruppe sie zuvor vierzehn Jahre lang angehört hatte. Garbarek hatte Mazurs Spiel einmal mit dem Rascheln des Windes in Bäumen verglichen, ein immer noch ausdruckskräftiges Bild für die Fluidität und überzeugende Eindringlichkeit ihres Klangs.
Jakob Bro (Jahrgang 1978) hörte man bei ECM zuerst als Mitglied der Bands von Paul Motian und Tomasz Stańko auf den Alben “Garden Of Eden” und “Dark Eyes”. Für seine eigenen Aufnahmen versammelte Bro Improvisatoren mit sehr unterschiedlichem Background und verschiedensten Erfahrungen um sich. Dabei vergrößert sich die Bandbreite seiner Musik immer mehr. Bester Beweis dafür sind seine jüngsten Veröffentlichungen, darunter “Uma Elmo” mit Arve Henriksen und Jorge Rossy sowie das etwas extrovertiertere Album “Once Around The Room”, auf dem Bro zusammen mit dem Saxophonisten Joe Lovano und anderen seelenverwandten Musikern Paul Motian Tribut zollt. Was all diese Projekte miteinander gemein haben, ist Bros Überzeugung, dass “die Musik atmen muss. Es ist wichtig, dass eine Art organische Konversation stattfindet.”
Das Projekt von Palle Mikkelborg, Jakob Bro und Marilyn Mazur befindet sich noch in der Entwicklung. Bei ihren für das Frühjahr 2024 geplanten Konzerten werden die deutsche Cellistin Anja Lechner und die japanische Perkussionistin Midori Takada zu dem Trio stoßen. Bereits bestätigt sind Auftritte im Bimhuis in Amsterdam (am 6. März 2024), im Die Singel in Antwerpen (7. März) und im Flagey in Brüssel (8. März).