Jakob Bro | News | Ein All-Star-Album, auf dem das Kollektiv der eigentliche Star ist

Ein All-Star-Album, auf dem das Kollektiv der eigentliche Star ist

Mit “Taking Turns” ist Jakob Bro 2014 ein betörend schönes und ungemein spannendes Album gelungen. Dass es zehn Jahre lang auf seine Veröffentlichung warten musste, ist ein großes Rätsel.
Jakob Bro
Jakob Bro(c) Adan Jandrup / ECM Records
28.11.2024
Im März 2014 versammelte der dänische Gitarrist Jakob Bro im New Yorker Avatar Studio mit Lee Konitz, Andrew Cyrille, Bill Frisell, Jason Moran und Thomas Morgan eine Gruppe sehr individueller Improvisatoren um sich, um mit ihnen sieben seiner Kompositionen für ein neues Album einzuspielen. Es spricht für Bros Qualitäten als Bandleader, aber auch für das Einfühlungsvermögen seiner Spielpartner, dass sie bei der Session das kollektive Zusammenspiel in den Vordergrund stellten. “In meinen Kompositionen”, so Bro damals, “geht es darum, ein flüchtiges Gefühl einzufangen, es zu skizzieren und dann während der Aufnahme zu entfalten.” Nur wenige Monate zuvor hatte der Gitarrist, der sich damals in einer musikalischen Umbruchphase befand, in Oslo “Gefion” aufgenommen, sein Debütalbum als Bandleader für ECM. Bei den Aufnahmen zu “Taking Turns”, die nun erstmals veröffentlicht werden, knüpfte Jakob Bro atmosphärisch und konzeptionell an die zuvor begonnene Zusammenarbeit mit Lee Konitz an und rundete sie mit einem letzten Kapitel ab.
Konitz, der seit den legendären “Birth Of The Cool”-Sessions (1949/50) eine bedeutende Rolle in der Jazzgeschichte spielt, war 2008 auf Empfehlung von Paul Motian in Jakob Bros musikalischen Zirkel getreten und wirkte an einer Trilogie von Alben mit – “Balladeering” (2009), “Time” (2011) und “December Song” (2013) – die auf Bros eigenem Label Loveland Records erschienen. Die Zusammenarbeit, sagt Jakob, habe seine Prioritäten verändert. “Als Lee anfing, meine Stücke zu spielen, hatte ich das Gefühl, die richtig Richtung für mich gefunden zu haben. Das mag selbstverständlich klingen, wenn man Konitz' Bedeutung als Improvisator bedenkt, aber für mich war es eine Offenbarung. Vom ersten Tag an interpretierte Lee meine Musik ziemlich frei, spielte um die Melodien herum, deutete sie an, spielte sie nicht unbedingt so, wie sie geschrieben waren.  Das brachte mich dazu, neu darüber nachzudenken, wie viel Musik ich einbringen sollte, wie viel Richtung ich vorgeben sollte, damit der Gruppensound sein natürliches Gleichgewicht und seinen eigenen Fluss findet. Das ist etwas, mit dem ich mich seitdem intensiv beschäftigt habe.”
Auf “Taking Turns” zeigt Konitz, der zum Zeitpunkt der Session 86 Jahre alt war, gleich im Opener “Black Is All Colors At Once” seine Sensibilität in einem eindringlichen Altsolo, das sich über die ineinander verzahnten Arpeggien von Bro und Bill Frisell erhebt. Im rhythmisch pulsierenden “Haiti”, dem der Schlagzeuger Andrew Cyrille – ein weiterer Veteran mit großer Vergangenheit – Momentum verleiht, hat man die seltene Gelegenheit, Lee am Sopransax zu hören. Mit Cyrille hatte Jakob Bro das erste Mal zusammenspielt, als der Schlagzeuger mit dem Pianisten Søren Kjærgaar beim Kopenhagener Jazzfestival auftrat und der Gitarrist sich zu den beiden auf die Bühne gesellte. Auf seiner ausgedehnten Reise durch die vielen Subgenres des Jazz wagte sich Cyrille oft in freie Zonen vor. Zu seinen wichtigsten und einflussreichsten Aufnahmen in diesem Bereich zählt das Album “Dialogue Of The Drums” (1974), dass er im Duo mit seinem Schlagzeugerkollegen Milford Graves einspielte. Der Titel “Milford Sounds” bezieht sich zum einen auf Graves, spielt aber auch auf den gleichnamigen Fjord auf der Südinsel Neuseelands an, der laut Jakob Bro “ein Ort von absolut surrealer Schönheit” ist.
Etwas prosaischer ist die Geschichte des Titels “Pearl River”. Das Stück ist nach einem asiatischen Einkaufszentrum in New Yorks Chinatown benannt, das Haushaltswaren zu günstigen Preisen anbietet. “Als Student hatte ich Freunde, die immer zum Pearl River Mart gingen, um ‘eine schöne Lampe für die Wohnung’ zu kaufen”, erinnert sich Bro. Hier wird das Stück nach einem Monolog von Konitz von sich kräuselnden Gitarren- und Schlagzeugwellen “illuminiert”, wobei der Pianist Jason Moran in der letzten Minute des Stücks für zusätzliche Dramatik sorgt. Von all den Musikern, die an dieser Session beteiligt sind, war Moran der einzige, mit dem Bro zuvor noch nicht zusammengearbeitet hatte.
“Pearl River” ist auch ein Stück, das Paul Motian live spielte, als Jakob Mitglied seiner Band war. Wie Bill Frisell vor ihm, erhielt auch Bro seinen musikalischen Feinschliff in der Zusammenarbeit mit Motian. Durch diese gemeinsame Erfahrung entstand eine enge Bindung zwischen den beiden Gitarristen. “Ich erinnere mich, wie ich jeden Abend ins Village Vanguard ging, um Paul und Bill und Joe Lovano spielen zu sehen. Wir wurden Freunde, noch bevor wir anfingen, miteinander zu spielen. Ich habe so viel von Bill gelernt und er hat mich immer unterstützt. Er lässt einfach jeden gut klingen.”
Gleiches lässt sich über den Bassisten Thomas Morgan sagen, dessen agiles und einfallsreiches Spiel seit fünfzehn Jahren ein nahezu konstanter Faktor in Jakob Bros Musik ist. Im abschließenden “Mar del Plata”, das Erinnerungen an eine Tournee durch Argentinien wachruft, spielt Morgan eine starke zentrale Rolle. Er bemüht sich, jedem Ton seines Basses Bedeutung zu verleihen und klingt fast wie ein junger Charlie Haden, während die Musik dem Sonnenuntergang entgegen trabt.
Live ist Jakob Bro am 4. Dezember im Dortmunder Domicil zu erleben. Dort tritt er dann im Trio mit dem Trompeter Arve Hendriksen und dem Schlagzeuger Jorge Rossy auf, mit denen er zuletzt die Alben “Uma Elmo” (2021) und “Once Around The Room” (2022) füur ECM aufgenommen hat.
 
Aarhus
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