Mit dem norwegischen Saxofonisten und Komponisten Jan Garbarek fand der europäische Jazz in den siebziger Jahren eine eigene Stimme, die über die Geste des Widerstandes gegen afroamerikanische Normen, die die Experimentatoren der Free-Szene pflegten, hinausreichte. Seine weit ausladenden, selbst in hohen Lagen samtig weichen Linien und verhaltenen Atmosphären schufen eine volksmusikalisch und kammermusikalisch geprägte Ausdrucksform zeitgenössischen Improvisieren, die mit Projekten wie “Officium” in den späten neunziger Jahren bis in die Traditionsbildung der Renaissance- und Kirchenmusik hineinreichte.
Jan Garbarek wurde am 4. März 1947 im norwegischen Mysen geboren. Unter dem Eindruck des damals aktuellen John Coltrane Quartetts, dessen Musik er im Radio gehörte hatte, griff der 14jährige Teenager zum Saxofon und begann, sich zunächst autodidaktisch anhand eines Lehrbuchs mit dem Instrument vertraut zu machen. Nach der Schule studierte er in Oslo Philosophie und trat bereits 1964 in kleinen Gruppen mit den Sängerin Karin Krog und dem Schlagzeuger Jon Christensen auf. Eine Begegnung mit dem Komponisten und Bandleader George Russell beim Molde Jazz Festival 1965 führte dazu, dass er nicht nur bei ihm Unterricht bekam, sondern in den folgenden Jahren auch bei verschiedenen seiner Projekte als Solist in Erscheinung trat (“Othello Ballet Suite”, 1967; “Electronic Sonata”, 1969).
Die Erfahrungen bei Russell, aber auch die zunehmend aufblühende skandinavische Jazzszene machten es in den folgenden Jahren möglich, dass Garbarek in immer neuen Formationen zusammen mit Krog, Christensen, dem Bassisten Arild Anderseon oder dem Gitarristen Terje Rypdal zu hören war. Anno 1970 begann die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem damals noch jungen Label ECM, die über mehr als drei Jahrzehnte hinweg sich zu einer außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte entwickelte, die wiederum für ähnliche Projekte des europäischen und internationalen Jazz den Weg ebnete. Garbarek spielte mit eigenen Formationen (“Witchi-Tai-To”, 1974), kooperierte mit dem Gitarristen Ralph Towner (“Solstice/Sound And Shadows”, 1977), dem Trompeter Kenny Wheeler (“Deer Wan”, 1978) und besonders erfolgreich mit dem Pianisten Keith Jarrett (“Belonging”, 1975; “My Song”, 1977). Außerdem konzipierte er zusammen mit dem Gitarristen Egberto Gismonti und Charlie Haden am Bass das programmatische Album “Folk Songs” (1979), das zu den reifsten Beispielen kulturübergreifender Klangsymbiose dieser Ära gehört.
Seit den achtziger Jahren bildeten sich feste Gruppen heraus, zu denen unter anderem der Kontrabassist Eberhard Weber, der Keyboarder Rainer Brüninghaus und die Perkussionistin Marilyn Mazur gehörten. Es entstanden zahlreiche, häufig preisgekrönte Einspielungen wie “Paths, Prints” (1981), “Wayfarer” (1983), “Legend Of The Seven Dreams” (1988), “Twelve Moons” (1992), darüber hinaus Querverbindungen zur indischen und arabischen Klangkultur wie “Ragas and Sagas” (mit Ustad Fateh Ali Khan, (1990) oder “Madar” (mit Anouar Brahem und Shaukat Hussain, 1992). Zu einem sensationellen Erfolg entwickelte sich das Album “Officium” (1993) mit dem Hilliard Ensemble, das die Verbindung von Garbareks improvisierten Linien und der geistlichen Vokalmusik des Mittelalters und der frühen Neuzeit wagte und 1998 mit “Mnemosyne” noch eine Fortsetzung fand. Mit Alben wie “Visible World” (1995) und “Rites” (1998) wagte er wiederum einen behutsamen Schulterschluss mit elektronischen Soundscapes, “Monodia” (2001) brachte ihn mit der Musik des Komponisten Tigran Mansurian zusammen, “Universal Syncopations” (2003) mit einer Allstar-Band um den Bassisten Miroslav Vitous. Mit “In Praise Of Dreams” präsentierte er sich im Herbst 2004 an der Seite der Bratschistin Kim Kashkashian und des Schlagzeugers/Perkussionisten Manu Katché. Danach gastierte Garbarek zunächst auf gefeierten Soloalben von Manu Katché ("Neighbourhood “) und Eberhard Weber (”Stages Of A Long Journey"), bevor er gemeinsam mit der dänisch-amerikanischen Perkussionistin Marilyn Mazur das ungewöhnliche Album “Elixir” aufnahm, das 2008 erschien. Im September 2009 erfüllte der Saxophonist seinen Fans mit dem Doppelalbum “Dresden – In Concert” einen lange gehegten Wunsch, als er mit der immens populären Jan Garbarek Group (feat. Rainer Brüninghaus, Yuri Daniel & Manu Katché) das erste eigene Live-Album in seiner vierzigjährigen Karriere veröffentlichte.
Jan Garbarek ist heute einer der Superstars der internationalen Musikszene und zugleich einer der prägenden Stilisten des kammermusikalischen Jazzidioms. Seine Klangwelten gelten als wegweisend für die Entwicklung der skandinavischen Improvisationskultur der vergangenen vier Jahrzehnte.
8/2009