JASON MORAN
“Same Mother”
Ganz gleich ob Improvisation, Komposition, Gruppenleitung, Repertoire, Technik oder Experiment: Der Pianist Jason Moran hat in den vergangenen Jahren in jeder für den Jazz wesentlichen Kategorie für Aufsehen gesorgt. Für sein neues, sechstes Blue-Note-Album ging der Musiker, der im Downbeat-Poll 2003 die Kategorien “Rising Star Jazz Artist”, “Rising Star Pianist” und “Rising Star Composer” anführte, erneut einen unkonventionellen Weg. “Same Mother” entwickelte sich aus einem von Moran entwickelten Kurzfilm-Soundtrack, der auf Mississippi-Gefängnissongs der vierziger Jahre basiert; das fertige Werk ist denn auch an zahlreichen Stellen mit herrlich erdigem Blues durchtränkt. Für bluesige Akzente sorgt nicht zuletzt Gastgitarrist Marvin Sewell, der in der Vergangenheit vor allem durch seine Arbeit mit Cassandra Wilson bekannt wurde.
Der Titel des neuen Moran-Albums wurzelt in einer Diskussion Morans mit seiner Frau Alicia: “Sie sagte, dass die Jazz-Bewegung und die Blues-Bewegung dieselbe Mutter haben, und ich dachte, genau das ist es – weil Blues und Jazz beides Musikformen sind, mit denen du dich direkt ausdrücken kannst.” Konsequenterweise steht die neue CD auch in einem gewissen Kontrast zu Morans früheren, eher urban orientierten Alben. “Same Mother” sei sich “bewusster über Texas, über Heimat, was für mich eine betont langsame, überlegte und emotional direkte Herangehensweise an die Dinge bedeutet”, präzisiert der am 21. Januar 1975 im texanischen Houston geborene Moran.
Gleichsam das Herz des neuen Albums bildet “I’ll Play The Blues For You”, eine furiose Interpretation der Albert-King-Ballade aus den siebziger Jahren. Eng verknüpft damit sind Morans Erinnerungen an zwei Verwandte, die in den siebziger und achtziger Jahren in Kings Orchester spielten: “Zwei Cousins meines Vaters spielten Orgel beziehungsweise Schlagzeug für Albert. Sie waren es gewohnt, durch die Stadt zu ziehen und den ganzen Wodka wegzutrinken. Sie waren der hauptsächliche Grund dafür, dass ich Musiker werden wollte. Natürlich war Albert ein großer Sänger und Gitarrist, doch meine Affinität zu dieser Musik rührt vor allem daher, dass meine Verwandten ein Teil dieser Musik waren.”
“I’ll Play The Blues For You” wie auch “Jump Up” fallen nicht zuletzt durch die saftigen und dennoch avantgardistischen Blues-Licks von Marvin Sewell auf. Moran ist außerordentlich zufrieden damit, dass er sein angestammtes Trio aus Tarus Mateen (akustischer und halbakustischer Bass) und Nasheet Waits (Schlagzeug) um den Ausnahmegitarristen zu ergänzen vermochte: “Als er zu Cassandras Band gehörte, wurde mir klar, dass Marvin ein Phänomen ist. Jedes Mal, wenn er ein Solo oder Intro spielte, dachte ich: Mein Gott, der Kerl muss eine ganze Menge vom Leben verstehen'. Er war die perfekt unperfekte Ergänzung für unsere Gruppe und dieses Projekt.” Sewells stilistische Vielseitigkeit dokumentiert sein raues Slidespiel auf “Field Of The Dead” und “Restin'” ebenso, wie die zarten, harmonischen Arpeggios auf “Aubade”, eine Nummer, die Moran übrigens gemeinsam mit Pianistenlegende Andrew Hill komponiert hat.
Moran schätzt seit jeher den Austausch mit den großen Avantgardisten der sechziger Jahre. So studierte er von 1993 bis 1997 an der Manhattan School Of Music bei dem von ihm verehrten Jaki Byard. Als Byard 1999 viel zu früh starb, widmete ihm Moran auf seinem Album “Black Stars” (2001) eine brodelnde Interpretation der Byard-Komposition “Out Front” als Hommage. Nicht minder fruchtbar war die Begegnung mit dem Avantgarde-Saxophonisten und -Flötisten Sam Rivers, der seine wohl wichtigsten Einspielungen bereits in den sechziger Jahren für Blue Note machte. Moran lud Rivers als Gast für “Black Stars” ein, wo sie mitreißende Momente des Zusammenspiels ablieferten.
“Ich bin ein moderner Pianist. Ich bin kein Pionier, bin nicht cutting edge, keine Avantgarde. Ich bin modernistisch. Ich lade alte Dinge mit neuen Ideen auf”, hat Jason Moran anlässlich des Erscheinens seines Soloalbums “Modernistic” (2002) erklärt. Dieses Bekenntnis lässt sich uneingeschränkt auch auf seine neue Veröffentlichung übertragen: “Same Mother” belegt, dass Jazz und Blues tatsächlich dieselbe musikalische Mutter haben – und dass diese Mutter nach wie vor äußerst attraktive Töchter hervorbringt.