JazzEcho-Plattenteller | News | Acoustic Sounds Vinyl Serie: Missverstandenes Meisterwerk von John Coltrane

Für die Reihe “Acoustic Sounds Vinyl” ist das Beste gerade gut genug. Präsentiert werden in dieser Serie ausschließlich Bestseller aus den Katalogen von Verve‚ Impulse! und anderen klassischen Jazzlabels, die über viele Jahrzehnte hinweg nichts von ihrer ursprünglichen Faszinationskraft eingebüßt haben. Dass hier nicht nur musikalisch das Beste geboten wird, garantiert Verve Records dabei durch die enge Zusammenarbeit mit dem renommierten Team von Acoustic Sounds. Unter der Supervision von Firmengründer Chad Kassem mastern dort erfahrene Toningenieure die Aufnahmen von den originalen Analog-Tonbändern neu, bevor sie bei Quality Record Pressings auf 180-Gramm-Vinyl gepresst werden. Die fertigen Scheiben werden dann in von Stoughton Printing Co. produzierte hochwertige Klapphüllen mit sogenannten Tip-On-Jackets gesteckt, die dem Album ein besonders edles Aussehen verleihen.

John Coltrane – Coltrane ‘Live’ At The Village Vanguard

“Musikalischer Unsinn, der unter dem Namen des Jazz feilgeboten wird… eine entsetzliche Demonstration dessen, was ein zunehmender Anti-Jazz-Trend zu sein scheint.” Mit diesem vernichtenden Urteil tat ein DownBeat-Kritiker die Musik ab, die John Coltrane im November 1961 während eines mehrtägigen Gastspiels im New Yorker Village Vanguard präsentierte. Vor allem die bluesige Improvisations-Tour de Force “Chasin' The Trane”, die sich über atemlose 16 Minuten hinzog, verlangte dem Publikum damals einfach zu viel ab. Heute gilt dieses Stück, so wie das gesamte Album “Coltrane ‘Live’ At The Village Vanguard”, längst als eines von Coltranes Meisterwerken, das dem Jazz völlig neue Dimensionen erschloss. “Spätere Generationen”, schrieb Ashley Kahn in seinem Buch “Impulse! Das Label, das Coltrane erschuf”, “verehrten ‘Chasin’ The Trane' als den Geburtsschrei des avantgardistischen Jazz der Sechziger: ein Ineinanderfließen verschiedener Stile und melodischer Einfälle, das die Gewandtheit und Kühnheit des Bebop von einst mit einer freien, entblößten und spiritualisierten Zukunft verschmolz.”

“Coltrane ‘Live’ At The Village Vanguard” markierte nicht nur eine wichtige musikalische Zäsur in Coltranes Œuvre, sondern war auch aus zwei anderen Gründen von historischer Bedeutung: Zum einen war es das erste offizielle Live-Album des Saxofonisten, zum anderen hatte Coltrane hier erstmals all die Musiker um sich versammelt, die in den folgenden vier Jahren sein “klassisches” Quartett bilden sollten: Pianist McCoy Tyner, Schlagzeuger Elvin Jones und Bassist Jimmy Garrison, der den Stab von dem ebenfalls noch bei dem Konzert präsenten Reggie Workman übernehmen sollte. Durch den Bassklarinettisten Eric Dolphy wurde das Quartett im Opener “Spiritual” (den Coltrane frei an den Spiritual-Klassiker “Nobody Knows The Trouble I’ve Seen” angelehnt hatte) zum Quintett erweitert. Abgerundet wurde das Programm durch eine wunderbare Interpretation des Pop-Standards “Softly, As In A Morning Sunrise”, bei der Coltrane zum Sopransax griff. Schon ein paar Wochen später, im Dezember 1961, ging Coltrane mit dem neuen Quartett in Rudy Van Gelders Studio, um dort die ersten Tracks für das Album “Ballads” einzuspielen. Und wenngleich auch diese Aufnahmen ohne große Proben ziemlich ad hoc entstanden, gelang es dem Saxofonisten, mit ihnen die aufgebrachten Kritiker wieder zu besänftigten.