“Jazz At The Philharmonic” – ein Name der Jazzfans auf der Zunge zergeht. Zu den Stars dieser ungewöhnlichen – u.a. wegen der trotz vorgeschriebener Segregation gemischtrassigen Aufmachung von Publikum und Performern – Live-Revuen zählten im elften Jahr ihrer Historie neben den Bläsern Roy Eldridge, Dizzy Gillespie, Lester Young, Flip Phillips und Illinois Jacquet sowie der Rhythmustruppe um Roy Brown und Buddy Rich natürlich auch Sechs-Saiter-Spezi Herb Ellis und der kanadische Klavierwunderjunge Oscar Peterson. Wie schon in der Dekade davor, sah die Dramaturgie der Konzerte vor, dass unterschiedliche, sich aus dem Musiker-Pool rekrutierende Ensembles sich im Laufe der Veranstaltung abwechseln, um zum großen Finale allesamt gemeinsam auf der Bühne zu stehen und mit einer Jam Session den Anfang vom Konzertende einzuläuten.
Eine Besonderheit des hier erstmals auf LP vorliegenden Konzertes aus dem Jahre 1955 ist, wie gekonnt antizipatorisch Granz mit der Aufmachung und Inszenierung seiner Konzerte aktuellen Entwicklungen, sowohl in der Jazz-Szene als auch in Bezug auf die Erwartung seines Publikums, Rechnung trug. Nicht nur, dass er mit seinen Paarungen die Binnen-Konkurrenz unter den Musikern zum Vorteil aller zu nutzen wusste; 1955 war die Jazz-Szene bereits in derart unterschiedliche Spielarten aufgeteilt, dass “Jazz” nur mehr als tendenziell ungenauer Oberbegriff urbar wurde. Granz reagierte darauf, in dem er den verschiedenen Teilen der Konzertsause thematisch passende Klammern verpasste: Bebop, Cool Jazz und Hardbop verschmolzen im “Modern Set”; Dixie und Swing im “Swing Set”; und die Balladen wurden im “Ballad Medley” zusammengefasst. Der Blues blieb Blues. Und Granz gelang das scheinbar Unmögliche: Alle glücklich zu machen.
Letzteres allerdings hatte weniger mit der Etikettierung unterschiedlicher Live-Abschnitte zu tun, als mit der Tatsache, dass Musiker und Hörer sich auf Augenhöhe begegneten – die unumstritten beste Voraussetzung für eine gelungene Live-Atmosphäre. Und genau daran lassen einen diese unvergleichlichen Aufnahmen teilhaben. Der Jubel und die Anfeuerungen des Publikums sind dafür ebenso entscheidend wie die hörbare Kommunikation der Musiker auf der Bühne. Die 20-minütige und nur “Blues” genannte Jam-Session, die sich über die gesamte Länge der A-Seite erstreckt, bietet gleich eine ganze Reihe von motivationalen Einwürfen. Aber auch das “Modern Set”, in dem sich Gillespie und Young musikalisch duellieren, hat diesbezüglich einiges zu bieten.
“Blues In Chicago 1955” ist ein essentielles Zeitdokument der JATP-Historie im Speziellen und der Entwicklung des Jazz im Allgemeinen. Es über 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung auf CD wie nun geschehen noch einmal auf wertigem 180g-Vinyl plus Download-Code aufzulegen war längst überfällig.