Brandee Younger – Farbenrausch auf schwarzer Scheibe
Harfenistin Brandee Younger entfesselt auf ihrem Impulse!-Debüt nicht nur optisch einen Farbenrausch. Das funktioniert auch auf dem Plattenteller.
JazzEcho-Plattenteller: Brandee Younger - Somewhere Different (Impulse! Records)
02.09.2021
Diese LP und weitere von Impulse! Records finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Harfe? Bitte was? – Eines der wohl mystischsten Instrumente der Musikgeschichte (gleich nach dem Theremin) ist auch eines der rarsten. Und als wäre die Harfe nicht schon per se selten – im Jazz spielt sie, gleichauf mit der Bratsche, eigentlich erst recht keine Rolle.
Eine noch winzigere Teilmenge bilden die Harfe spielenden Jazz-Musikerinnen. Auf Brandee Younger treffen all diese super-seltenen Zuschreibungen zu. Die 38-jährige gehört zu den wenigen Menschen überhaupt, die es als Frau mit Harfe im Jazz “geschafft” haben: Veröffentlichungen unter eigenem Namen, vielbeachtete Kooperationen mit namhaften Kolleginnen und Kollegen, Auftritte bei renommierten Festivals und publikumswirksamen Konzerten. Und dennoch: leicht ungläubiges Staunen à la “Jazz? Harfe?” begegnet ihr immer wieder.
Mit “Somewhere Different” setzte sie dem Ignorantentum jetzt etwas Unignorierbares entgegen. Nicht nur, indem sie eine Tradition wieder aufleben lässt, die eigentlich erst in den 1960er-Jahren mit den auch heute noch relevanten Harfen-Kolleginnen Dorothy Ashby und Alice Coltrane begann. Die Musik dieser außergewöhnlichen Protagonistinnen verfügt über eine fast schon außerirdische Qualität; die Melange aus Groove, Spiritualität, Entfesselung und Tightness, alles veredelt durch den Zuckerguss namens Harfe, sucht ihresgleichen.
Apropos Tradition: die ist Brandee Younger nicht nur auf der Klangschiene wichtig. Auch die sonstige Gestaltung ihres Tonträgers weiß ganz genau, wo ästhetische Anknüpfungspunkte wesentlich werden. Ihre Musik ist schwelgerisch, romantisch, und doch immer jazzig, cool und groovy. Das fängt das Albumcover besonders in LP-Größe fabelhaft ein. Auf den ersten Blick könnte man das Foto auf dem Cover auch für eine Neu-Interpretation der Monet’schen Seerosen halten – mit der schönsten Seerose auf der leicht pompösen Teich-Bank. Auf den zweiten Blick lassen sich noch viel mehr Assoziationen ausmachen: das Zusammenspiel von farbiger Typo, re-kontextualisierten Künstlerinnen-Portraits und grafischen Montagen gehört spätestens seit den Cover-Abenteuern derBlue NoteMacher aus den 1950er und 1960er Jahren zum guten Ton – und ja, erst recht im Jazz. Zudem erscheint “Somewhere Different” im Rahmen der 60-Jahre-Impulse!-Feierlichkeiten, und der orangefarbene Plattencover-Rücken ist längst nicht die einzige Verbindung zur Tradition des großen Coltrane-Labels.
Brandee Younger ist mit “Somewhere Different” ein großer Wurf gelungen, der sie trotz ihres speziellen Instrumentes einem größeren Publikum bekannt machen dürfte. Die LP des Werkes klingt, wie sollte es anders sein, auf 180g-Vinyl voll, makellos und – farbenfroh. Auf dem orangen Inner-Sleeve findet der Hörer alle musikalischen Credits und interessante Linernotes von Marcus J. Moore.