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Verve By Request – exotische Experimente

In der Reihe Verve By Request erscheinen diesmal zwei Alben auf Vinyl, die kunstvoll die Grenzen des Jazz sprengten: Dorothy Ashbys “The Rubáiyát Of Dorothy Ashby” und Archie Shepps “Kwanza”.
JazzEcho-Plattenteller: Dorothy Ashby "The Rubáiyát Of Dorothy Ashby" /  Archie Shepp "Kwanza" (Verve By Request)
JazzEcho-Plattenteller: Dorothy Ashby "The Rubáiyát Of Dorothy Ashby" / Archie Shepp "Kwanza" (Verve By Request)
15.05.2023

Alle LPs der “Verve By Request” Serie und mehr finden Sie in unserem JazzEcho-Store.

 
Ende der 1990er Jahre startete Verve Records seine immens erfolgreiche Reissue-Serie “Verve By Request”, in der besondere Raritäten und von Jazzfans gewünschte, längst vergriffenen Klassiker auf CD veröffentlicht wurden. Jetzt ist diese Reihe wiederbelebt worden, diesmal allerdings gibt es die ausgewählten Werke nicht auf CD, sondern auf Vinyl. Als Partner fungiert dabei das 2001 von dem Indie-Rocker Jack White (The White Stripes) gegründete Label Third Man Records, das in Detroit ein exzellentes Vinyl-Presswerk (mit aus Deutschland importierten Maschinen) und ein Audio-Mastering-Studio unterhält. Erscheinen werden in der Serie sorgfältig ausgewählte Titel, die vielfach schon seit langem vergriffen sind, aber auch Alben aus den neunziger und nuller Jahren, die bis heute noch nicht auf Vinyl veröffentlicht wurden. Alle Aufnahmen werden, sofern möglich, von den analogen Originalquellen neu gemastert und bei Third Man Pressing in Detroit auf 180-Gramm-Vinyl in audiophiler Qualität gepresst.
Dorothy Ashby – The Rubáiyát Of Dorothy Ashby
Als die 20-jährige Dorothy Ashby 1952 mit ihrer Harfe auf der Detroiter Jazzszene auftauchte, schlug ihr nicht gerade eine Welle der Begeisterung entgegen. Das Instrument genoss den Ruf, einen “ätherischen, verweichlichten Klang” zu haben, der nicht so recht in eine moderne Jazzband passen wollte. Allen anfänglichen Widerständen zum Trotz machte es sich Dorothy zur Mission, das Image ihres Instruments aufzupolieren. Bis zu ihrem vorzeitigen Tod 1986 gelang es ihr elf eigene Alben einzuspielen, auf denen sie oft ebenso gekonnt wie mutig die Grenzen zwischen Jazz, Rhythm’n’Blues, Soul und Funk überquerte. Nebenher gastierte sie auf Werken von Jazzkollegen wie Freddie Hubbard, Stanley Turrentine, Gene Harris, Sonny Criss und Bobbi Humphrey, aber auch auf Alben von Pop- und R&B-Größen wie Stevie Wonder, Bill Withers, Bobby Womack, Minnie Riperton und Billy Preston. Ihr wohl exzentristischstes, zugleich aber unglaublich zugängliches Album nahm sie 1970 für Cadet Records auf: “The Rubáiyát Of Dorothy Ashby”. Auf ihm vertonte sie Vierzeiler des persischen Dichters Omar Chayyām (1048–1131), wobei sie auf reizvolle Weise Spiritual Jazz, Funk und Blues mit Elementen asiatischer und afrikanischer Musik verschmolz. Neben ihrer Harfe spielt Ashby hier auch die japanische Koto und sang. Durch die letztjährige Grammy-Nominierung der Jazzharfenistin Brandee Younger sind in jüngster Zeit viele Jazzfans wieder auf das schmale, dafür aber umso erstaulichere Œuvre ihres großen Vorbilds Dorothy Ashby aufmerksam geworden.
Archie Shepp – Kwanza
Mit der Bürgerrechtsbewegung der afro-amerikanischen Bevölkerung ging in den 1960er Jahren auch die Politisierung der schwarzen, avantgardistischen Jazzszene einher. Und der Saxofonist Archie Shepp stand dabei in vorderster Reihe- Er gehörte zu den ersten Musikern, die sich auf ihren Alben bewusst mit dem afrikanischen Erbe auseinandersetzten. 1966 kam ein etwas schrulliger Black-Power-Aktivist auf die verwegene Idee, ein nicht-religiöses Fest namens Kwanzaa auszurufen, um die panafrikanische Kultur zu feiern. Mittlerweile wird es jährlich von Millionen Afro-Amerikanern (aber zunehmend auch anderen) in der letzten Jahreswoche (vom 26. Dezember bis 1. Januar) zelebriert. 
In dem Begleittext zu seinem Album “Kwanza” bezeichnete Shepp das Fest “unsere eigene traditionelle afrikanische heilige Woche”. Das sehr vielseitige Impulse!-Album enthält grandiose Shepp-Aufnahmen aus den Jahren 1968 und 1969, wurde aber erst 1974 von dem Label veröffentlicht. Bemerkenswert sind dabei nicht nur die Rhythm’n’Blues- und Funk-Grooves der Shepp-Originale “Back Back”, “Slow Drag” und “Spoo Pee Doo” – letzteres gesungen von Leon Thomas und mit Andy Bey am Piano -, sondern auch Grachan Moncurs “New Africa” (der avantgardistischste Track des Albums) und “Bakai” vom Komponisten und Trompeter Cal Massey. Auch die Bands, von denen Shepp bei den Einspielungen begleitet wurde, waren außergewöhnlich prominent besetzt: u.a. mit Jimmy Owens, Woody Shaw, Robin Kenyatta, Cecil Payne, Charles Davis, Dave Burrell, Walter Booker, Beaver Harris, Cedar Walton, Joe Chambers und Bernard PrettyPurdie. “Kwanzaa” mag zwar eines der weniger bekannten Alben Archie Shepps sein, es ist aber nichtdestotrotz auch eines seiner eindrucksvollsten und besten.
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