JazzEcho-Plattenteller | News | Vollständig komplett - Akinmusires neues Werk endlich als LP

Vollständig komplett – Akinmusires neues Werk endlich als LP

Auf seinem fünften Studioalbum bringt Ambrose Akinmusire alles zusammen: Klangtradition und Avantgarde, Gesellschaft und Individuum, Professionalismus und Abenteuerfreude. Jetzt auch in Vinyl.
JazzEcho-Plattenteller: Ambrose Akinmusire - "on the tender spot of every calloused moment"
JazzEcho-Plattenteller: Ambrose Akinmusire - "on the tender spot of every calloused moment"
03.09.2020
Anfang Juni erschien das neue Album von Ambrose Akinmusire auf CD und digital. Fans fragten: wo bleibt die LP? Jetzt ist sie erschienen!
Wenn einer der (lies: D E R!) Jazz-Protagonisten des 20. Jahrhunderts dir eine ellenlange, als Linernotes getarnte Liebeserklärung für dein Album verfasst, dann kannst Du dir ruhig auf die eigene Schulter klopfen und sagen: “Mein Horn, mein Album, mein Archie Shepp”. Ambrose Akinmusireson the tender spot of every calloused moment” ist aber nicht nur wegen Archie Shepps schriftlicher Lobrede zu empfehlen – obwohl die zwei Anekdoten, die der Ausnahme-Künstler darin unterbringt, Akinmusires besondere Einzigartigkeit auf wunderschöne Weise plastisch machen: Ein nimmermüder Entdecker, der die kontinuierliche Arbeit an und mit seinem Instrument so sehr genießt und braucht, dass er es niemals als Arbeit begreifen würde.
Ist das Naivität von Berufs wegen? Wohl kaum. Mit fast 40 hat der Musiker nicht nur längst eine unverwechselbare Klangfarbe etabliert. Mit “on the tender spot of every calloused moment” und elf von elf Eigenkompositionen hat Akinmusire auch als Autor einen höchst individuellen Stil entwickelt, den nur schnöde “Jazz” zu nennen sich ebenso falsch wie unvollständig anfühlt. Die gleichermaßen klassische – im Sinne eines Quar- bzw. Quintetts – als auch unorthodoxe – Vokalisten inklusive – Besetzung ändert an diesem Höreindruck wenig. Ob es an den Klangvorbildern liegt? In seinen Danksagungen wiederholt er den Namen seines verstorbenen Mentors Roy Hargrove über ganze drei Zeilen. Obwohl auch der nun wirklich nicht als musikalisch reaktionär galt, führt ihn der ein oder die andere doch eher unter der Rubrik “Ganz klar Jazz”. Wie so häufig, ist es auch hier wohl müßig, das “Was-Passt-In-Welche-Schublade”-Spiel zu Ende zu spielen. Akinmusire und seine Mitmusiker – Harish Raghavan, Jesus Diaz, Justin Brown, Sam Harris und Genevieve Artadi – arbeiten sich in unterschiedlichen Konstellationen durch ein Klangmaterial, das selbstverständlich von Improvisation geprägt ist; aber eben auch von komponierte Strukturen und präfigurierten Mustern, deren maßgebliche Gestaltprinzipien Ereignisdichte, Soundkontraste und – ich muss das so formulieren, weil mir nichts besseres einfallen mag – Klangwürde sind. Leise, kaum hörbare und intime Phasen ergeben im Zusammenspiel mit halsbrecherischer instrumentaler Akrobatik ein faszinierendes Gesamtbild eines Musikers, der mit dem, was er zu sagen hat, noch lange nicht am Ende ist, aber trotzdem schon weiß, wie.
Besagte Klangwürde – sollte es diesen Begriff vorher noch nicht gegeben haben, lasse ich ihn umgehend als Neuschöpfung und Wortmarke schützen – stellt sich auf der Vinyl-Variante dieses außergewöhnlichen Albums natürlich viel eher ein und besser dar. Der strikte Schwarz-Weiss-Druck des angenehm stabilen Gatefolds ist nicht nur ein Blickfänger; es ist auf unheimliche Weise befriedend. Dass auch das ikonische Blue Note Label in der Schallplattenmitte komplett in schwarz und weiß gehalten ist, macht die Scheibe in doppelt und dreifachem Sinne runder als sie es eh schon ist. Ein Muss für den anspruchsvollen Plattenteller. 
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