John Coltrane | News | Sternstunde in Seattle - "A Love Supreme" erlebt Live-Premiere

Sternstunde in Seattle – “A Love Supreme” erlebt Live-Premiere

“A Love Supreme” hat John Coltrane nur selten vor Publikum aufgeführt. Jetzt erscheint ein bislang unbekannter Konzertmitschnitt seines Magnum Opus.
John Coltrane - A Love Supreme: Live In Seattle
John Coltrane - A Love Supreme: Live In Seattle
21.10.2021
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Was für eine enorme Zugkraft der Name John Coltrane auch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod noch besitzt, zeigt sich immer, wenn bislang unveröffentlichte Aufnahmen des genialen Saxofonisten unverhofft das Licht der Welt erblicken. Schon die Ankündigung eines solchen Archivfundes versetzt die internationale Presse in vorfreudige Ekstase. Das war zum Beispiel 2015 bei der Deluxe-Ausgabe von “A Love Supreme: The Complete Masters” der Fall. Denn neben den ursprünglichen Aufnahmen und Alternate Takes enthielt diese auch eine komplette Live-Performance des spirituellen Meisterwerks, die 1965 beim Festival Mondial du Jazz Antibes aufgezeichnet worden war. Für noch mehr Furore sorgte 2018 die Entdeckung des verschollenen Studioalbums “Both Directions At Once” (1963 von Coltrane mit seinem legendären Quartett eingespielt) und zuletzt vor zwei Jahren das Erscheinen des als Soundtrack konzipierten Albums “Blue World” (1964 mit derselben Besetzung aufgenommen).
Nicht anders ist es jetzt bei “A Love Supreme: Live In Seattle”. Nicht nur in den USA und Großbritannien überschlugen sich die Medien bereits vor lauter Begeisterung: “Die Musik, das muss gesagt werden, ist nichts weniger als wunderbar” schrieb das britische Magazin Vibe, während der Guardian “A Love Supreme: Live In Seattle” zum “Album des Monats” kürte und als “einzigartiges Dokument einer bahnbrechenden Band” bezeichnete. “Das Album ist ein Muss für jeden Coltrane-Liebhaber”, meinte auch All About Jazz. Und The Atlantic kam zu dem Schluss, dass diese Aufnahme zu “einem neuen Verständnis einer der wichtigsten und bekanntesten Jazzkompositionen aller Zeiten” führen wird.
Die jetzt als “A Love Supreme: Live In Seattle” veröffentlichten Aufnahmen wurden im Oktober 1965 zum Abschluss eines einwöchigen Coltrane-Engagements in dem Nachtclub The Penthouse in Seattle mitgeschnitten. Sie sind in mehrerlei Hinsicht eine Offenbarung von historischer Bedeutung. Zum einen, weil sie den Moment dokumentieren, als der Saxofonist begann, sein klassisches Quartett durch zusätzliche Musiker zu erweitern. Zum anderen, weil er hier die intensive, spirituell ausgerichtete letzte Phase seiner Karriere einläutete.
Verstärkt wird die Bedeutung von “A Love Supreme: Live In Seattle” noch durch die Tatsache, dass Coltrane seine berühmte vierteilige Suite nach der Studioeinspielung von 1964 nur höchst selten aufgeführt hatte. Die Tonbandspulen von dem hier erscheinenden Konzert befanden sich seitdem in der Privatsammlung des aus Detroit stammenden Saxofonisten und Musikpädagogen Joe Brazil, der damals in Seattle lebte und den Gig auf dem hauseigenen Equipment des Clubs mitgeschnitten hatte. Gehört haben diese sensationellen Aufnahmen danach nur wenige glückliche Musiker und Freunde Joe Brazils; in der Öffentlichkeit wusste man hingegen bis jetzt so gut wie gar nichts über sie.
A Love Supreme: Live In Seattle” bietet eine besonders faszinierende Darbietung der kompletten Suite, die sich durch einen lockereren und stärker improvisatorischen Ansatz auszeichnet. Die Suite, die in ihrer Urform lediglich rund 33 Minuten lang war, wurde bei dem Konzert in Seattle um vier Interludien erweitert und auf über 75 Minuten ausgedehnt. Zu Coltrane und den Musikern seines traumhaften Quartetts – Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Schlagzeuger Elvin Jones – gesellten sich noch der Tenorsaxofonist Pharoah Sanders und als zweiter Bassist Donald Garrett auf die Bühne. Mit von der Partie war außerdem Carlos Ward, ein junger Altsaxofonist aus Panama, der gerade erst in der Szene Fuß zu fassen begann und später intensiv mit dem südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim zusammenarbeitete.
Wie der Musikhistoriker und Coltrane-Kenner Ashley Kahn in seinen Liner Notes zu “A Love Supreme: Live In Seattle” schreibt, stand das Konzert am 2. Oktober 1965 unter einem günstigen Stern: “In Seattle fügten sich alle notwendigen Elemente perfekt zusammen: die Musik, die Musiker, der Veranstaltungsort, der Geist der Verbundenheit, eine gewisse politisch aufgeladene Atmosphäre. Coltrane entschied sich dafür, die Suite aufzuführen. Und zu unser aller Glück wurde dieser Moment auch aufgezeichnet.”
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