Vor genau 30 Jahren machte Jon Balke als Pianist von Arild Andersens Band sein ECM-Debüt. Er war damals zwar erst 19 Jahre alt, besaß aber schon eine unverkennbar eigene Stimme. Seither zählt Balke zur ersten Riege der norwegischen Jazzmusiker und setzte als Gründungsmitglied der Band Masqualero sowie später als Leiter seiner eigenen Gruppen Oslo 13 und Magnetic North Orchestra Maßstäbe. Mit den beiden letztgenannten Ensembles schuf er sein eigenes musikalisches Universum, eine Klangwelt, in der Kreativität und Originalität eine große Rolle spielen.
Es gibt weder in Europa noch sonst irgendwo eine andere Band, die auch nur entfernt eine solche Musik macht, wie das Magnetic North Orchestra.
Als Komponist und Arrangeur ist Balke wirklich unverwechselbar, auch wenn Kritiker ihn schon des öfteren mit einigen Giganten des Jazz verglichen haben. Die Namen von Duke Ellington und Gil Evans werden in Rezensionen häufig zitiert. Wie diese weiß auch Balke zweifellos, wie man Musik auf einzelne Musiker zuschneidet und deren individuelle Stärken maximal hervorhebt.
Auf “Diverted Travels” präsentiert sich das Magnetic North Orchestra in einer beinahe komplett neuen Besetzung: Lediglich der Trompeter und Sänger Per Jørgensen hat auch schon auf dem 2002 entstandenen Album “Kyanos” mitgewirkt. Allerdings hat das neue Oktett letztes Jahr schon bei den Berliner Jazztagen, beim Jazzfestival in Göteborg und beim 1. Spielboden-Festival im österreichischen Dornbirn für Furore gesorgt.
Während sich in der norwegischen Musikszene derzeit sehr viele Künstler auf die Zusammenarbeit mit Djs sowie den Einsatz von Ambient-Soundscapes und Elektronik konzentrieren, bewegt sich Balke in die entgegengesetzte Richtung. In seiner Band hat er mit Bjarte Eike, Peter Spissky und Thomas Pitt drei Streicher der Gruppe Baroque Fever, denen er wiederum zwei Perkussionisten gegenüberstellt. Über die Streicher sagt Balke: “Diese drei Virtuosen sind leidenschaftliche Musiker, die ihre Wurzeln in der alten Musik haben; aber sie sind ständig auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln und haben eine sehr experimentelle Ader.”
Saxophonist Fredrik Lundin, den man als Leader der dänischen Band Overdrive auch intenational kennt und der ein Meister der freien Improvisation ist, hat einen Ton, der sowohl explosiv als auch elegant ist. Ingar Zach wiederum ist der meistgefragte norwegische Schlagzeuger und Perkussionist innerhalb des Zirkels der europäischen freien Improvistionsszene; er arbeitete unter anderem schon mit Derek Bailey, Evan Parker, Phil Wachsmann und Tony Oxley. Sein Kollege Helge Andreas Norbakken ist stilistisch besonders vielseitig und hat ein Faible für die Zusammenarbeit mit Sängerinnen wie Maria João, Mari Boine und Anne Wylie; Norbakken ist hier an einem normalen Drum-Kit, mit sogenannten “ethnischen” Perkussionsinstrumenten (inklusive afrikanische Djembés und Talking Drums) sowie diversen Metallobjekten zu hören. Per Jørgensen ist ein wirklich einzigartiger Musiker: Ein ausgesprochen “singender” Trompeter und zugleich ein Vokalist, der dadurch, daß er seine Stimme wie ein Instrument in einem spacigen, rauchigen und höchst eigenwilligen “Scat”-Stil einsetzt, sehr “instrumental” singt. Mastermind Jon Balke ist auf diesem Album, das sowohl konstant überraschend als auch organisch konstant ist, das Bindeglied zwischen den einzelnen Elementen.
Das neue Magnetic North Orchestra wird vom 29. Oktober bis 15. November auf Europa-Tournee gehen und “Diverted Travels” live vorstellen