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Rastloser Klangtüftler am Klavier

Der experimentierfreudige norwegische Pianist Jon Balke stößt auf seinem jüngsten Soloalbum “Skrifum” einmal mehr in neue Klangdimensionen vor.
Jon Balke
Jon Balke(c) Kerstin Siemonsen
24.02.2025
Mit “Skrifum” setzt Jon Balke seine Reihe experimenteller Solo-Klavieralben fort, in der bereits “Warp” (2016) und “Discourses” (2020) erschienen sind. Auch dort manipulierte er die akustische Umgebung, in der seine Musik zu hören war. Doch diesmal geht er noch einen Schritt weiter, wie schon die ersten Töne deutlich machen. Zogen sich durch die Klaviermusik von “Discourses” wie ein roter Faden subtil collagierte “field recordings”, die wie unterschwellige Botschaften aus der Außenwelt wirkten, so ist “Skrifum” in sich geschlossener, eine tiefer gehende Reise in das Klanguniversum des Klaviers selbst.
Balkes neue Solomusik ist mit Hilfe eines elektronischen Audiowerkzeugs namens Spektrafon entstanden, einer Software zur Live-Audiobearbeitung, die er zusammen mit Anders Tveit, Professor für Technologie an der Norwegischen Musikhochschule in Oslo, entwickelt hat. Mit diesem Interface kann er nun den Klang des Klaviers direkt und in Echtzeit verändern, indem er Frequenzen herauszieht und sie als Oberton-Akkorde, glitzernde Oberton-Schauer oder unheimliche Borduntöne aufrechterhält. Der aktivierte, energiegeladene Nachhall liefert so neues Material für improvisierte Interaktionen und Dialoge, oft mit sehr schönen Ergebnissen.
Skrifum” ist Isländisch und bedeutet “schreiben”. Ein durchaus passender Titel für dieses Album, denn all die Melodielinien und Klänge, die Balke behutsam auf ihm formt, haben bei aller technischen Raffinesse eine fast kalligraphische Qualität: Er schreibt, zeichnet und entwirft die Musik im wechselnden Licht und den immer länger werdenden Schatten, die das bearbeitete Material wirft.
“Das Spektrafon wirft Klänge auf eine Weise zurück, die viel Raum beansprucht”, sagt Jon Balke. “Deshalb nutze ich die Gelegenheit, um meist monophon zu spielen und mich auf jede einzelne Note, ihr Gewicht und ihre Position im Klangbild zu konzentrieren.”
Jon Balke, der sein ECM-Debüt 1975 auf Bassist Arild Andersens erstem Album “Clouds In My Head” gab, gilt weithin als einer der einfallsreichsten Musiker Skandinaviens. Als Pianist, Keyboarder, Perkussionist, Komponist, Arrangeur und Improvisator hat er sich schon in einer Vielzahl stilistischer Kontexten präsentiert – das Spektrum reicht von Soloauftritten bis hin zu Aufnahmen als Leader oder Co-Leader unterschiedlichster Formationen. Zu letzteren gehören die transkulturelle Band Siwan, deren Musik von der Poesie des mittelalterlichen Andalusien (al-Andalus) inspiriert ist, das Perkussionsensemble Batagraf, das Magnetic North Orchestra, die “kleine Bigband” Oslo 13 und das Improvisationstrio Jøkleba (mit Audun Kleive und Per Jørgensen). Balke war zusammen mit Arild Andersen, Jon Christensen, Nils Petter Molvær und Tore Brunborg Gründungsmitglied von Masqualero und wirkte auch an ECM-Aufnahmen der Sängerin Sidsel Endresen, des Trompeters Mathias Eick und des Perkussionisten Miki N’Doye mit. Er komponierte zahlreiche Werke für Jazzgruppen und Ensembles für zeitgenössische Musik und schrieb Musik für Film, Theater, Ballett und die Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern. Als Sideman spielte er mit Archie Shepp, Jon Hassell, John Surman, George Russell, Enrico Rava, Airto Moreira und vielen anderen.