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Jon Batiste – himmlisch beflügelter Auftritt

Auf seinem neuen Album “Anatomy Of Angels: Live At The Village Vanguard” erweist sich Pianist Jon Batiste mit seinem Trio und Gästen als fantasievoller Improvisationskünstler.
Jon Batiste - Hollywood Africans
Jon Batiste - Hollywood Africans
01.08.2019
Ist das Village Vanguard ein Fall für die Ghostbusters oder andere Detektive paranormaler Aktivitäten geworden? Schon seit geraumer Zeit hört man, dass der altehrwürdige New Yorker Jazzclub offenbar von einigen mysteriösen Gestalten heimgesucht wird. Als Ambrose Akinmusire sein Doppelalbum “A Rift In Decorum: Live At The Village Vanguard” einspielte, spürte er nach eigener Aussage die Präsenz der Geister verstorbener Jazzlegenden. Zu dem Pianisten Jon Batiste soll sich, als er dort im Herbst letzten Jahres an sechs Abenden auftrat, gar ein Engel auf die Bühne gesellt haben. Das behauptete wenigstens ein Augen- und Ohrenzeuge aus dem Publikum. Er könnte damit freilich auch Batistes engelsgleiche Gastsängerin Rachael Price gemeint haben. Für den Pianisten war es allemal Anlass genug, seinem Live-Album aus dem Village Vanguard den Titel “Anatomy Of Angels” zu geben.
Aber keine Bange, Batiste greift hier nicht zum Skalpell, sondern bleibt bei seinen anatomischen Studien der Engel den schwarzen und weißen Tasten seines Klaviers treu. Assistierend zur Seite stehen ihm Bassist Phil Kuehn und Schlagzeuger Joe Saylor, mit denen er einst in Juilliard studierte und nun schon seit 15 Jahren zusammenspielt (u.a. in Stay Human, der Hausband von Stephen Colberts “Late Show”). Bei Thelonious Monks Ballade “'Round Midnight” und der Schlussnummer “Creative”gesellen sich zu dem Trio noch die Trompeter Giveton Gelin und Jon Lampley sowie die Saxophonisten Tivon Pennicott und Patrick Bartley, während Rachael Price von der Indie-Jazz-, Pop- und Soul-Band Lake Street Dive ihre geschmeidigen Stimmbänder wirkungsvoll in Ray Nobles Songbook-Standard “The Very Thought Of You” einsetzt.
“Die Musik dieses Albums wurde komplett live eingespielt”, sagt Batiste, “es gab keine Bearbeitungen oder zweite Takes. Es ist eine Momentaufnahme, echte Live-Kunst. Ich habe diese Lieder so komponiert und arrangiert, dass sie ad hoc erkundet, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können, um nie wieder auf die gleiche Weise gespielt zu werden. Man sollte diese Musik mit offenen Ohren, gelegentlich geschlossenen Augen, vollem Herzen und leeren Händen hören – wenn man ihr ohne Ablenkung lauscht, wird sie einem vieles geben. Jemand aus dem Publikum erzählte mir nach der Show, dass er während unseres Auftritts inmitten der Band einen Engel auf der Bühne gesehen habe. Ich glaube ihm.”
Bei seinen Auftritten im Village Vanguard beschränkte sich Jon Batiste aber nicht auf das Interpretieren von Standards. Er präsentierte auch drei Kompositionen, die seine eigene Handschrift tragen: das bluesige “Dusk Train To Doha”, das coltranesk angehauchte Titelstück “Anatomy Of Angels” und “Creative”, eine Nummer mit kantigen Monk-Akkorden und einer hymnisch-gospeligen Passage à la Keith Jarrett, die er mit seinem Trio erstmals 2013 auf dem Album “Jazz Is Now” vorgestellt hatte.
“Seine Musik gibt dem Publikum ein so gutes Gefühl, dass wir vielleicht ein ‘Do Not Make Love’-Schild installieren müssen”, scherzte Stephen Colbert vor vier Jahren, als er Batiste für seine “Late Show” engagierte. Die begeisterten Jazzfans, die ihn bei seinen Auftritten im Village Vanguard erlebten, könnnen das sicher bezeugen.
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