Seelenverwandte Saitenkünstler – zwei Gitarrenstars in perfektem Einklang
Nach seinem gefeierten Blue-Note-Debütalbum “Squint” erweiterte Julian Lage sein Trio für den Nachfolger “View With A Room” nun um seinen prominenten Gitarrenkollegen Bill Frisell.
Bill Frisell / Julian Lage(c) Monica Jane Frisell / Shervin Lainez
16.09.2022
Das Album “View With A Room” als LP und in exklusiver Sonderedition in weißem Vinyl finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Was hat Bill Frisell nur, was viele andere Gitarristen offenbar nicht haben? Wann immer einer seiner Instrumentalkollegen einen zweiten Gitarristen als Spielpartner sucht, fällt die Wahl beinahe unweigerlich auf Bill Frisell. Bezeugen können dies inzwischen die unterschiedlichsten Größen: von Jim Hall, John Scofield, Pat Metheny und Mike Stern über Arto Lindsay und Vinícius Cantuária bis hin zu Bonnie Raitt und Vernon Reid. Auch als Julian Lage für sein neues Album “View With A Room” einen zweiten Gitarristen suchte, um sein eingespieltes Trio mit dem Bassisten Jorge Roeder und Schlagzeuger Dave King zum agilen Quartett zu erweitern, fand er in Bill Frisell die perfekte Lösung.
“Es gibt niemanden, dem ich mehr als Bill Frisell zutrauen würde, in unser Trio-Ökosystem einzutreten und der dazu in der Lage ist, es zu erweitern, während er gleichzeitig vollkommen in ihm aufgeht”, sagt Julian Lage. “Es ergab sich eine wunderbare Zusammenarbeit, bei der wir den Technicolor-Sound kreieren konnten, nach dem ich gesucht hatte.” “Diese Platte wollte ich in vielerlei Hinsicht schon seit Jahren machen”, fährt Julian Lage fort. Seit er 2010 mit einem Quintett sein zweites Album “Gladwell” aufgenommen hatte, war ihm die Frage durch den Kopf gegangen, wie er “eine üppige Orchestrierung mit einem organischen Sinn für Improvisation und der Agilität eines kleinen Ensembles kombinieren” könnte. Sie beschäftigte ihn auch noch, als er 2018 in Jorge Roeder und Dave King die Idealbesetzung für sein aktuelles Trio gefunden hatte. Um nichts von der Beweglichkeit und abenteuerlichen Spontaneität einzubüßen, die sie in den vergangenen vier Jahren zusammen erreicht hatten, wollte er die Besetzung nicht unnötig um andere Instrumente erweitern. Die Lösung, so fand er, würde ein zweiter Gitarrist sein.
“Die Antwort ergab sich aus einigen historischen Bezügen, die für mich bei der E-Gitarre von Bedeutung sind”, erläutert Julian Lage. “Es gibt eine gewisse Abstammungslinie, die von frühen Pionieren wie Jimmy Bryant, George Barnes und Charlie Christian ausgegangen ist. Der Sound dieser Gitarristen weist eine fast schon elektrische Volatilität auf. Er ist sowohl schön als auch irgendwie schneidend; er ist gedämpft und warm, aber auch irgendwie entschlossen. Bei der Orchestrierung für dieses Album wollte ich dieser Linie folgen.”
Und so holte den seelenverwandten Bill Frisell an Bord, mit dem er bereits bei diversen Gelegenheiten – sowohl in größeren Ensembles als auch im intimen Duo – zusammengespielt hatte. Förderlich war zudem, dass sie beide nicht darauf aus sind, dem jeweils anderen die Schau zu stehlen, sondern es verstehen, auf verschlungene und dennoch klare Art und Weise miteinander zu kommunizieren. Dabei gelingt es ihnen immer wieder, die unterschiedlichsten Referenzen in ihrem Spiel aufblitzen zu lassen: von den Beach Boys über Keith Jarrett bis hin zu George Harrison. Von Roeder und King werden die beiden Gitarristen dabei auf Schritt und Tritt exzellent unterstützt und angetrieben. Herausgekommen ist ein ungemein spannendes, originelles und abwechslungsreiches Album, das zweifellos in die Kategorie “Zeitlose Klassiker der modernen Jazzgitarre” gehört.