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Keith Jarrett – 2. Europa und Amerika

15.04.2005
Anlässlich des 60. Geburtstags von Keith Jarrett und dem Erscheinen seines neuen Solo-Albums “Radiance” am 02.05.05 folgt heute der 2. Teil der Artikelserie “Keith Jarrett-Retrospektive”.
“Meine Position ist musikalisch am besten als frei von jeder Haltung beschrieben. Ich bin nicht der Musik verpflichtet, denn die Musik ist etwas anderem verpflichtet”, (Keith Jarrett, 1972). Nachdem er die Miles Davis Group verlassen hatte, machte Jarrett zunächst weiter, wo er mit Miles aufgehört hatte. Auf Einladung von Manfred Eicher nahm er für das junge Label ECM gemeinsam mit Jack DeJohnette das Album “Ruta And Daitya” auf. Es funktionierte wie die Schnittstelle zwischen den Exkursen des Duos innerhalb der Miles Davis Group und den separaten und gemeinsamen Perspektiven beider Musiker. Wenige Monate später gab Jarrett mit “Facing You” seinen Einstand als Solo-Pianist für ECM. Doch das Album erschien zwei Jahre vor der Duo-Aufnahme mit Jack DeJohnette und wurde als eigentlicher Beginn der in jeder Hinsicht fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Jarrett und Eicher wahrgenommen. “Wenn ich Manfred Eicher nicht gefunden hätte, würde es keine Soloalben geben. Ich hätte einen Schreibtisch voller Noten, die niemals geprobt und schon gar nicht gespielt und aufgenommen worden wären. Sie gingen das Risiko ein.”

Doch Jarrett legte sich nicht auf ein oder zwei Idiome oder Spielhaltungen fest. Er ergänzte sein altes Trio mit Paul Motian und Charlie Haden um Saxofonist Dewey Redman. “Wenn man zwei Jungs aus Ornette Colemans Band hat, in der es niemals ein Piano gab, und jetzt ist ihr Leader ein Pianist, dann ist das eine ziemlich heikle Situation”, resümierte Jarrett und zeigte auf “The Survivor’s Suite” (1977), was er damit meinte. Er entwarf einen ganzen Katalog von Möglichkeiten für das kollektive Spiel, das jedem Mitglied der Band jederzeit ein Entweichen und zugleich die Rückkehr in den Bandkontext ermöglichte. Welche dieser Möglichkeiten genutzt wurden, gab der Fluss der Musik vor. So spannungsgeladen die Musik seines amerikanischen Quartetts war, so entspannt machte sich im Vergleich dazu der Fluss seines europäischen Quartetts mit Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen auf Alben wie “Belonging” (1974) oder “My Song” (1977) aus. “Als sogenannter Leader wünsche ich sehr oft mit den anderen Musikern zu verschmelzen und die Belonging-Gruppe ermöglicht das, weil niemand gegeneinander kämpft. Jeder versucht nur, das Ding transparent zu machen.” Ein kollektiver Dialog mit der Stille, eine besondere Sensibilität für den Sound hob beide Quartette Keith Jarretts über vergleichbare Gruppen seiner Zeit hinaus. Dieses einzigartige Verhältnis zum Klang basierte auf der intensiven Arbeit mit Manfred Eicher. “Ich arbeite an der Musik und Manfred arbeitet an seinem Sound. Was er aus ihm herausziehen will, unterscheidet sich von dem, was jeder andere Produzent will, mit dem ich je gearbeitet habe. Er will die Erfahrung. In der Aufnahme will er hören, was er hörte, als es passierte.”

So tasteten sich Jarrett und Eicher gemeinsam an “The Köln Concert” heran, ein Album, nachdem der Jazz nie wieder sein sollte, was er vorher gewesen war.
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