Nach einer Reihe von Alben mit seiner Band Oracle präsentiert sich der Schlagzeuger und Komponist Kendrick Scott auf “Corridors” erstmals im ungewöhnlichen Trio-Format ohne Akkordinstrumente.
Trio-Aufnahmen in der Besetzung mit Saxofon, Bass und Schlagzeug besitzen seit jeher einen gewissen Seltenheitswert. Das mag daran liegen, dass Sonny Rollins, als er das exotische Format 1957 mit den beiden Alben “Way Out West” und “A Night At The Village Vanguard” erstmals ins Rampenlicht katapultierte, die Messlatte gleich nahezu unerreichbar hoch gelegt hatte. Auf “Corridors”, seinem mittlerweile dritten Album für Blue Note, präsentiert sich nun der Schlagzeuger und Komponist Kendrick Scott in genau dieser Besetzung, die eine besondere Herausforderung darstellt. Bisher hatte er all seine Alben im Quintett-Format (und meist unter dem Bandnamen Kendrick Scott Oracle) eingespielt, das er zudem manchmal noch durch Gäste erweiterte. Diesmal sind seine einzigen Partner der Tenorsaxofonist Walter Smith III, der bereits auf Scotts ersten beiden Alben – “The Source” (2007) und “Reverence” (2009) – gastierte hatte, und Kontrabassist Reuben Rogers.
Wie Kendrick Scott ist auch Smith Jahrgang 1980 und stammt aus Houston/Texas, wo sie gemeinsam mit Robert Glasper und Beyoncé Knowles die musikalische Kaderschmiede der Kinder High School for the Performing and Visual Arts besuchten. Der 1974 in St. Thomas/Virgin Islands geborene Reuben Rogers steht wiederum seit den 1990er Jahren als Bassist hoch im Kurs und erlangte vor allem durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Charles Lloyd weltweite Bekanntheit.
“In meinen Kompositionen beschäftige ich mich normalerweise mit dem, was ich selbst gerade durchmache”, sagt Kendrick Scott, der bis auf eine Ausnahme – “Isn’t This My Sound Around Me?” von Bobby Hutcherson – sämtliche Stücke für “Corridors” geschrieben hat, “aber für diese Platte wollte ich von meiner Perspektive wegzoomen und stattdessen versuchen, mich mit der Perspektive von allen auseinanderzusetzen. Ich musste mich auf eine ganz neue Art und Weise aus meiner Komfortzone herauswagen.”
Während es bei seinem vorangegangenen Album “A Wall Becomes A Bridge” (2019) um Provokation ging, handelt “Corridors” von einer gemeinsam erlebten Intimität und auch von Verlust. Denn mit der Arbeit an dem Album hatte Kendrick während des Corona-Lockdowns begonnen. Und diese Zeit warf für ihn Fragen auf: “Ich dachte mir: Wie hat sich das Leben für alle verändert? Was machen die Menschen in ihren Häusern? Das brachte mich auf das Thema ‘Korridore’”, erzählt Scott, wobei er anmerkt, dass er zu der Metapher zum Teil durch einen langen Korridor in seiner New Yorker Wohnung inspiriert wurde. “Wenn man an Korridore denkt, dann impliziert das in Wirklichkeit Bewegung, man geht von einem Ort zum nächsten. Aber jetzt stand jeder in ihnen still.”
All diese Fragen gaben Scott, der das Album selbst produzierte, auch den Anstoß eine neue Instrumentierung auszuprobieren. Seine Band Oracle ist im Grunde um die beiden Akkordinstrumente Gitarre und Klavier herumgebaut. Auf sie zu verzichten, glich einem Sprung ins kalte Wasser. “Eine meiner Stärken ist es, einen harmonischen Raum für Gruppen zu schaffen”, sagt Kendrick Scott, “und das Trio hat mir selbst noch mehr Raum gegeben, so dass auch ich freier sein konnte, um alle Ebenen der Musik zu interpretieren. Reuben bewegt sich auf eine sehr ungekünstelte und liebevolle Weise durch die Welt, und er spiegelt das auch in seinem Spiel wider. Er ist das verbindende Element – erdend und aufbauend. Und Walter hat diesen Sound, der für mich immer besonders schön und inspirierend war. Unter all meinen Spielpartnern stach Walter immer als Leitbild hervor, der mir geholfen hat, meine Sachen auf die Reihe zu bekommen.”