Vertonungen von Gedichten und anderen literarischen Texten bilden in der Diskographie des norwegischen Pianisten und Komponisten Ketil Bjørnstad eine besondere Kategorie. “A Suite Of Poems”, im Juni 2016 im Rainbow Studio in Oslo aufgenommen, ist ein Liederzyklus, der auf Texten des norwegisch-dänischen Schriftstellers Lars Saabye Christensen basiert. Mit dem Album knüpft Bjørnstad an frühere literarische Projekte wie “A Passion For John Donne”, “Sunrise” und “The Light” an.
Lars Saabye Christensen ist einer der bekanntesten und produktivsten zeitgenössischen Autoren Skandinaviens. Für sein erstes Buch, den 1976 erschienenen Gedichtband “Historien om Gly”, erhielt er den Tarjei-Vesaas-Debütantenpreis,eine Auszeichnung für das beste literarische Debüt eines norwegischen Schriftstellers, dem später viele weitere Literaturpreise folgten. Mittlerweile hat er mehr als vierzig Bücher geschrieben, vorwiegend Romane und Gedichte, aber auch einige Drehbücher.
Christensen und Bjørnstad – beide in Oslo geboren (der Schriftsteller 1953, der Pianist ein Jahr zuvor) kennen sich seit ihrer Jugend. Von seinen Reisen rund um den Globus schickt Lars seinem Freund Ketil seit vielen Jahren “Hotelgedichte”. “Ich habe vor mehr als zwanzig Jahren angefangen, Musik zu seinen Gedichten zu schreiben”, merkt Bjørnstad in seinem Begleittext zu “A Suite Of Poems” an. “Seine Fähigkeit, die inneren Konflikte aufzudecken, die wir alle in unseren Koffern mit uns herumschleppen, ist beeindruckend.”
In seinen literarischen Postkarten erkundet Christensen eine breite Palette von Stimmungen. “Ich fühle mich der einsamen, existentiellen Perspektive dieser Gedichte, die in verschiedenen Hotelzimmern entstanden sind, sehr verbunden”, sagt Bjørnstad, der als Musiker natürlich auch viel unterwegs ist. Bei der Aufnahme arbeitete Ketil eng mit der Sängerin und Schauspielerin Anneli Drecker zusammen, der ehemaligen Leadsängerin der Popgruppe Bel Canto. Die beiden sind ebenfalls schon seit langem miteinander befreundet. Drecker hatte bereits im Jahr 2000 auf Bjørnstads Album “Grace” vertonte Gedichte von John Donne gesungen und ging anschließend mit ihm auf Tournee. Außerdem ließ sie selbst Ketil auch “poetische, traurige oder lustige” Botschaften aus weit entfernten Hotels zukommen, als sie mit A-ha oder Royskopp durch die Welt tourte.
“Was ist also das verborgene Geheimnis des Reisens und davon, dass wie einen Großteil unseres Lebens in Hotelzimmern verbringen?”, fragt Ketil Bjørnstad. “In gewissem Sinne sind wir drei vom gleichen Schlag, und dieses Album ist unser Gemeinschaftsprodukt.”
Ketil Bjørnstad, der vom Guardian einst als “kulturelles Wunderkind” bezeichnet wurde, erhielt zunächst eine Ausbildung als klassischer Pianist und verfiel dem Jazz, nachdem er Miles Davis und Terje Rypdal gehört hatte. Seine erste Aufnahme machte Bjørnstad 1973 mit einem Quartett, dem Jon Christensen und Arild Andersen angehörten. Sein ECM-Debüt gab er zwanzig Jahre später mit dem Album “Water Stories”, auf dem er mit Rypdal und Christensen zusammenarbeitete. Bjørnstad ist auch ein in viele Sprachen übersetzter Bestseller-Autor. Lange Zeit war er darauf bedacht, seine literarische Karriere weitgehend von seiner musikalischen getrennt zu halten. Aber seit Anfang der 1990er Jahre kam es verstärkt zu einer offenen gegenseitigen Befruchtung. Eine besondere Inspirationsquelle waren für ihn dabei die Werke des großen englischen metaphysischen Dichters John Donne, die er für die Alben “The Shadow” (1990), “Grace” (2001), “The Light – Songs Of Love And Fear” (2008) und zuletzt “A Passion For John Donne” (2014) vertonte. Die Doppel-CD “Vinding’s Music” (2012) entführt den Hörer direkt in die literarische Welt von Bjørnstad und ist eine Art “literarischer Soundtrack” zu seiner Romantrilogie über den fiktiven jungen norwegischen Pianisten Aksel Vinding.
Anneli Drecker, 1969 in Tromsø geboren, erregte in den 80er Jahren erstmals internationale Aufmerksamkeit als Sängerin der Gruppe Bel Canto. Die Synthesizer-getriebene Popmusik und “Arctic Electronica”-Traumlandschaften der Band erwiesen sich sich damals als sehr einflussreich und führten zu Kooperationen mit Musikern wie Jah Wobble und Can-Drummer Jaki Liebezeit sowie vielen experimentierfreudigen norwegischen Spielern. Parallel startete Drecker in Norwegen eine erfolgreiche Karriere als Schauspielerin, trat in zahlreichen Theaterproduktionen, Filmen und im Fernsehen auf. Für ihre eigenen Soloalben vertonte Drecker unter anderem Werke des nordnorwegischen Kultdichters Arvid Hanssen.Das CD-Booklet enthält die Texte aller vertonten Gedichte und eine Einleitung von Ketil Bjørnstad.