Ketil Bjørnstads neues Opus “Seafarer’s Song” ist von einer hypnotischen Schönheit, die nur vergleichbar ist mit der seiner früheren Alben “The Sea” (1994) und “Grace” (2000), die damals Kritiker rund um den Globus zu mit Superlativen gespickten Lobeshymnen veranlaßten. Die Aufnahmen für “Seafarer’s Song” wurden vergangenes Jahr beim North Norway Festival in Harstad mitgeschnitten und präsentieren Bjørnstad mit einer Band, deren Mitglieder er selbst als die “feinsten Musiker, die ich kenne”, bezeichnet. In der sechzehn Stücke umfassenden Suite setzt Bjørnstad, wie er sich ausdrückt, “in einer Zeit, in der melodische Elemente oft zu Fragmenten reduziert sind, meine Suche nach den Möglichkeiten der Melodie” fort.
Für die Einspielung von “Seafarer’s Song” stellte Ketil Bjørnstad in der Tat eine ganz spezielle Band zusammen, bestehend aus der Sängerin Kristin Asbjørnsen, Trompeter Nils Petter Molvær, Cellist Svante Henryson (der schon auf Alben von Hardrocker Yngwie Malmsteen sowie auf “For The Stars” von Anne Sofie von Otter und Elvis Costello zu hören war), Gitarrist Eivind Aarset, Bassist Bjørn Kjellemyr und Schlagzeuger Per Lindvall. Das Ensemble hatte nur wenige Tage Zeit, sich auf seinen Auftritt beim North Norway Festival vorzubereiten. Umso beeindruckender ist die Intensität der Performance, die noch lange nach dem Hören der CD nachwirkt.
Harstad gebietet über einen der allerschönsten Landstriche der norwegischen Küste. Dies inspirierte Bjørnstad dazu, sich in der Musik und den Songtexten mit der Gefahren bergenden Pracht des lokalen Küstenstrichs und seiner von Schiffswracks gesäumten Geschichte auseinanderzusetzen. “Seafarer’s Song” ist zwar in vielerlei Hinsicht eine Ode an die See, doch gleichzeitig geht Bjørnstad thematisch weit über das Seefahrer-Schicksal hinaus. “Ich wollte das Glück derjenigen darstellen, die einen sicheren Hafen finden, aber auch die Tragödie derjenigen, die ihn nicht erreichen”, sagt Bjørnstad. Und das Wort “Hafen” verwendet er hier sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.
Der Lyriker Bjørnstad benutzt die Begriffe “Norden” und “Süden” in seinen Liedtexten als politische Metaphern. “Dreaming Of The North” und “Dying To Get To Europe” setzen sich mit dem emotionalen Trauma afrikanischer Flüchtlinge auseinander, die es auf der Suche nach einem besseren Leben in den industrialisierten Norden treibt. Das Album ist geprägt von dahintreibenden, hypnotischen Stimmungen, und Bjørnstads Piano lenkt den Fluß der Musik, die in Songs wie “I’ve Been Hungry All These Years” und “Refugees At The Rich Man’s Gates” die Ängste und Dramen der Menschen einfängt, die sich auf der Flucht befinden. Eine besondere Rolle übernimmt dabei natürlich Kristin Asbjørnsens Stimme, die (wie es die die norwegische Zeitung Bergens Tidende einmal formulierte), “wenn sie in hohen Tonlagen singt, Gläser zum Zerspringen bringen kann, und im unteren Register mit grobkörnigem Sandpapier konkurriert”. Als Mitglied von experimentellen Ensembles wie Krøyt, Dadafon und dem Vokalquartett Kvitretten hat sich Asbjørnsen in der zeitgenössischen norwegischen Musikszene längst einen Namen gemacht und stilistische Grenzen überschritten. Ihre eindringliche Diktion illuminiert das Libretto und die Melodien von “Seafarer’s Song”. Bjørnstad wiederum gelang es, die tiefe Kluft zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen aufzuzeigen. Höhepunkt dieses Albums, das eine schlichte, tieftraurige Schönheit charakterisiert, ist “I Many Times Thought Of Peace”, eine Reflexion des arabisch-israelischen Konfliktes.
Ketil Bjørnstad, der in Norwegen einen einzigartigen Stellenwert als Künstler genießt, hat etwas von einem Humanisten. Der geschulte Konzertpianist hat seit 1973 über dreißig eigene Alben aufgenommen, darunter fünf Piano-Solo-Alben sowie Kollaborationen mit Jazz- und Rockmusikern. Parallel zu seiner ohnehin schon vielseitigen und schillernden Musikkarriere profilierte er sich aber auch noch als sehr produktiver Autor. Seine schriftstellerische Tätigkeit brachte bis heute über 20 Romane sowie eine Reihe von Gedicht- und Essay-Bänden hervor. Darüber hinaus schreibt er für Tageszeitungen und Periodika immer noch Literatur- und Musikkritiken.
“Seafarer’s Song” wurde von dem mehrfach preisgekrönten Toningenieur Jan-Erik Kongshaug in den weltberühmten Rainbow Studios in Oslo fertiggestellt und von Sven Persson koproduziert. Das Album ist eine musikalische Odyssee, die die ewige Suche nach Sicherheit in der heutigen, traumatischen Welt beschreibt. “'Seafarer’s Song' ist im Grunde genommen eine Ode an all die Menschen, die sich abmühen einen Hafen zu finden – einen sicheren Ort, an dem sie leben können”, meint Bjørnstad abschließend.