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Maciej Obara Quartet – musikalische Gipfelstürmer

Auf seinem zweiten ECM-Album “Three Crowns” präsentiert sich das polnisch-norwegische Quartett des Altsaxophonisten Maciej Obara in bestechender Form.
Dominik Wania, Maciej Obara, Ole Morten Vågan, Gard Nilssen
Dominik Wania, Maciej Obara, Ole Morten Vågan, Gard NilssenUrszula Tarasiewicz / ECM Records
24.10.2019
“Three Crowns”, sein zweites Album für ECM, hat Maciej Obara nach dem Trzy-Korony-Berg (Drei-Kronen-Berg) des südpolnischen Pieninen-Gebirgszugs benannt. Entsprechend ist auch die Performance des Quartetts des polnischen Altsaxophonisten, das hier – aufbauend auf den Erfolg seines ECM-Debüts “Unloved” – neue musikalische Gipfel erklimmt. Das im März 2019 in den Studios La Buissonne aufgenommene Album wartet mit sechs frischen Stücken des Bandleaders und faszinierenden Interpretationen zweier Werke des polnischen Komponisten Henryk Mikołaj Górecki (1933–2010) auf. Bemerkenswert ist, dass es das erste Mal ist, dass die Górecki-Familie – die Obara kennenlernte, als er in Katowice, der Heimatstadt des Komponisten, lebte – improvisierenden Musikern für die Aufnahme seiner Werke ihren Segen gab.
Maciej Obara, Dominik Wania, Ole Morten Vågan und Gard Nilssen gehen Góreckis “Three Pieces In Old Style (Part One)” und “Little Requiem For A Polish Girl” (das eine Stück wurde 1963, das andere 1993 komponiert), mit der Intensität und dem Fokus an, die sie auch sonst in der Spitze des zeitgenössischen Jazz auszeichnen. Es ist ein wirklich besonderes Quartett mit einem mehrschichtigen und detailreichen Klang, eine Allianz von höchst individuellen Instrumentalisten, die sich der Gruppenarbeit verschrieben haben und es dabei trotzdem schaffen, Raum für Selbstentfaltung zu finden.
Maciej Obara, dessen konzentrierter Altsaxophonklang die Balance zwischen Lyrismus und eruptiven Emotionen hält, wird von Dominik Wania, einem Pianisten mit beeindruckender Technik und klassischem Background, ideal unterstützt. “Beide sind Improvisatoren mit quecksilbriger Energie”, konstatierte der britische Guardian. Wania fand seinen Weg zum Jazz erst nach dem Studium an der Musikakademie Krakau, wo er 2005 sein Prädikatsexamen als klassischer Konzertpianist machte. Obara lernte er später in einem von Tomasz Stańko geleiteten Ensemble kennen. Dort zeigte sich auf Anhieb, dass der impulsive, extrovertierte Saxophonist und der introvertierte, analytische Pianist ein tiefes musikalisches Verständnis gemein hatten. In dem elegischen “Mr. S”, mit dem das Album “Three Crowns” endet, zollen sie dem letztes Jahr gestorbenen Trompeter ihren Respekt. Das freischwebende Stück kommt dem Geist von “Balladyna” atmosphärisch nahe.
Die norwegischen Musiker Ole Morten Vågan und Gard Nilssen, die 2012 zu den beiden Polen stießen, haben mittlerweile auch in anderen Kontexten miteinander gespielt. Aber ihre enge synergetische Beziehung entwickelten sie vor allem in Obaras Band. In diesem Ensemble werden die überkommenen Vorstellungen von den Aufgaben der Musiker der Frontline und der Rhythmusgruppe häufig umgekehrt. Gard Nilssen orientiert sich, wie sein dramatisches Spiel auf Trommeln und Becken im Titelstück verdeutlicht, in seiner ungehemmten Herangehensweise an den Klang- und Energiewellen von Jon Christensen und Audun Kleive. Ole Morten Vågan wiederum bewegt sich völlig frei im Gruppenklang, wobei er mal eigene Ideen einbringt und dann wieder strikt seiner harmonischen und rhythmischen Rolle treubleibt.
Obara hat die stark melodischen Themen, die er seinem Ensemble vorgibt, als Umrisse beschrieben, “von denen unser Klang befreit wird”. Dabei verleiht jedes einzelne Mitglied des Quartetts der Musik Form, Farbe und Impetus. Die erste Instrumenatalstimme, die man in in “Blue Skies For Andy” hört, ist die von Ole Morten Vågan. Das Stück ist eine von Herzen kommende Hommage an Maciej Obara’s verstorbenen Vater, der einen Großteil seines Lebens damit verbrachte, innerhalb der Roma-Gemeinschaft zu spielen. Die Nummer ist ein Schlüsselstück des neuen Repertoires und für sich genommen eine packende Klangreise, bei der im Verlauf von neuneinhalb Minuten eine große Strecke zurückgelegt wird. Die Bandmitglieder versammeln sich hier hinter dem dynamischen Altsolo des Leaders und gehen auf dessen Andeutungen ein.
Dominik Wania kann sich auf “Three Crowns” mehrfach eindrucksvoll in Szene setzen. Besonders bezwingend ist sein Spiel in dem Stück “Glow”, das mit einem gitterartigen unbegleiteten Intro des Pianisten beginnt und danach im Zickzackkurs sukzessive Intensitätsebenen erklimmt. Die Kombination der Klänge von Obara und Wania wird hier sehr dramatisch eingesetzt und vermittelt manchmal den Eindruck, dass die Musiker in der unter Druck stehenden, beschleunigten Welt der Improvisation ihre Gedanken gegenseitig vervollständigen.
Der Stern von Obaras Quartett ist in den zurückliegenden Jahren stetig gestiegen. Im Mai gewann die Band den ersten Preis beim BMW-Welt-Jazzwettbewerb in München. In ihrer Laudatio verwies die Preisjury auf die “enorme Amplitude der Emotion, der Dynamik und Ausdrucksmöglichkeiten, mit denen Maciej Obara und sein Quartet überraschte. Ebenso faszinierte die Schwerelosigkeit seines Tons, die Kraft seiner Kompositionen und die Spontaneität seiner von filigraner Lyrik ­­­bis entfesselte Power reichenden Bandimprovisationen.”
Auch individuell haben die Musiker Fortschritte gemacht: Gard Nilssen trat beim diesjährigen Molde Festival als Artist-in-Residence auf, während Ole Morten Vågan weiterhin das Trondheim Jazz Orchestra leitet (zuletzt in Zusammenarbeit mit Cory Smythe) und Dominik Wania Material für ein kommendes ECM-Soloalbum vorbereitet.
Nachdem das Maciej Obara Quartet die Musik von “Three Crowns” vor kurzem schon beim Münsterland Festival in Wadersloh und bei den Leipziger Jazztagen vorgestellt hat, wird es sie am 9. November auch beim Enjoy Jazz Festival in Mannheim präsentieren. Weitere Deutschland-Konzerte sind für Anfang 2020 in Planung.