Mathias Eick | News | Jazzbetonter und expressiver denn je zuvor

Jazzbetonter und expressiver denn je zuvor

Mit “Lullaby” ist dem norwegischen Trompeter Mathias Eick ein atemberaubend schönes und zugleich erstaunlich dynamisches und grooviges Album gelungen. Mit einem neuen Quartett, das so homogen klingt, als spiele es schon seit Jahren zusammen.
Mathias Eick
Mathias Eick(c) Colin Eick
14.02.2025
Auf seinem neuen Album “Lullaby” kehrt Mathias Eick erstmals wieder zu der “klassischen” Quartettbesetzung zurück, mit der er 2008 sein Debütalbum “The Door” für ECM Records eingespielt hatte. In den acht Stücken, die der norwegische Trompeter und Multiinstrumentalist für sein neues Quartett mit dem Pianisten Kristjan Randalu, dem Bassisten Ole Morten Vågan und dem Schlagzeuger Hans Hulbækmo geschrieben hat, beweist er seinen Einfallsreichtum als Komponist und seine Qualitäten als Improvisator. Während Hulbækmo hier zum ersten Mal auf einer ECM-Produktion zu hören ist, sind Randalu und Vågan bereits vertraute Gesichter. Der estnische Pianist legte 2018 sein Album “Absence” auf dem Münchner Label vor und begleitete im selben Jahr Trygve Seim bei der Einspielung von “Helsinki Songs”. Ole Morten Vågan kennt man wiederum durch diverse Aufnahmen mit Thomas Strønen und dem Maciej Obara Quartet. In den überaus melodiösen Stücken von “Lullaby” herrscht ein Gefühl absoluter Ungezwungenheit vor. Die Musiker wechseln fließend zwischen den Harmonien und entwickeln gemeinsam ein Momentum innerhalb der Formen.
Eicks sofort erkennbarer, beruhigender Ton wird auf “Lullaby” oft mit Randalus abwechselnd lyrischen und energiegeladenen Klavierflügen kontrastiert, und erhält von der sehr dynamischen, stets fesselnde Rhythmusgruppe Auftrieb. In der Besprechung von Eicks letztem Album “When We Leave” für All Music bemerkte Thom Jurek: "Die Empfindsamkeit in Eicks schmerzhaften Melodien vermählt auf expressionistische Weise die sakrale mit der natürlichen Welt ." Eine Charakteristik, die hier wohl noch mehr zutrifft.
“Jedes Mal, wenn ich in eine neue Schreibphase eintrete – in der Regel für mein nächstes Album -, versuche ich, in eine andere Richtung zu gehen, neue Stile und neue Musiker auszuprobieren”, sagt Mathias Eick. “Bei ‘Ravensburg’ und ‘When We Leave’ war ich mit dem Sound und der Konstellation so zufrieden, dass ich – ungewöhnlich für mich – zwei Alben im gleichen Kontext und Geist gemacht habe. Im Nachhinein hat es mich aber auch daran erinnert, dass ich mich weiterentwickeln und mich selbst herausfordern möchte, neue Wege zu finden.”
Die idyllischen, oft folkloristisch angehauchten, filmischen Klanglandschaften, die Eicks frühere Platten prägten, treten hier behutsam zurück und machen Platz für ein engmaschigeres Zusammenspiel des Quartetts – auch wenn  der zutiefst melancholische Kompositionsansatz des Trompeters ungebrochen bleibt. Hulbækmos ungemein grooviges Schlagzeug ist allgegenwärtig, manchmal -  wie im Opener “September” – sogar recht dominant, und wird von Eick stets mit wehmütigen Melodieentwicklungen beantwortet. Aber natürlich gibt es im Repertoire auch einige Balladen, in denen das Quartett eher traditonell-jazzig zusammenspielt – “Lullaby” zeigt die expressiven Qualitäten der Band in einem solchen balladesken Kontext aus einer eher kontemplativen Perspektive. Eick schrieb das Stück unter dem Eindruck der jüngsten tragischen Ereignisse in Israel und Gaza.
Doch es sind nicht nur Tragödien, die Mathias Eick zur Musik seines neuen Albums inspiriert haben. “My Love” zum Beispiel hat der Trompeter seiner Frau gewidmet. Er spielte es ihr mit seiner Band zum ersten Mal an dem Tag vor, an dem er ihr den Heiratsantrag machte. Es ist eine markante Mid-Tempo-Jazznummer, getragen von frei fließenden Einwürfen der einzelnen Musiker und natürlich, wie immer, von Mathias’ zutiefst melodischem Geist. In diesem Stück, wie auch in dem eindringlichen “Partisan”, tragen Ole Morten Vågans gemeißelte Basslinien dazu bei, den klaren Ausdruck der Melodien zu definieren und einen besonderen Drive zu erzeugen, den das Schlagzeug aufgreift und verstärkt.
May” ist sicherlich eines der direkteren Stücke der Platte und hebt Mathias Eicks Solostimme hervor, während in “Hope” die raumgreifende Dynamik des Quartetts im Vordergrund steht. Letzteres Stück zeichnet sich durch ein besonders einfühlsames Solo des – so Mathias – “extrem brillanten” Randalu aus. Der Trompeter betont, wie wichtig es für ihn war, endlich mit dem estnischen Pianisten zusammenarbeiten zu können und wie “aufregend es war, mein Spiel mit ihm zu entwickeln – ich habe dabei viel gelernt. Ich wollte schon seit etwa zehn Jahren etwas mit Kristjan aufnehmen. Und ich wusste sofort, dass ich schreiben konnte, was immer ich wollte, und es einfach ihm überlassen konnte, die Lücken zu füllen.”
Ole Morten Vågans fein konturierte Pizzicato-Linien verleihen einem Großteil des Albums eine besonders greifbare Dynamik, während seine Arco-Striche in “Free” Obertöne über eine atmosphärische Struktur kratzen, die im letzten Drittel des Stücks, in dem sich die Stimmung ändert, an Fahrt gewinnt. Eick und Vågan haben eine gemeinsame Vergangenheit – sie studierten vor 24 Jahren zusammen in Trondheim und traten mit mehreren Bands auf, darunter das vom Bassisten gegründete Quintett Motif. “Musikalisch war er immer einen Schritt voraus”, sagt Mathias über seinen Weggefährten. “Er ist ein Virtuose, und ich habe immer davon geträumt, ihn in meiner Band zu haben.”
Vejle For Geir” ist das letzte Stück des Albums und gleichzeitig einer seiner Höhepunkte. Hier begibt sich das Quartett noch einmal auf sehr jazziges Terrain, und der treibende Puls offenbart eine weitere Inspiration, die Mathias Eick beim Komponieren der Stücke für “Lullaby” geleitet hat: “Ich bin so inspiriert von den ECM-Aufnahmen aus den 70er Jahren, vor allem von den Alben, die Keith Jarrett mit dem so genannten Europäischen Quartett gemacht hat – die Freiheit, die sie hatten. Diese Alben waren Meilensteine im Leben vieler Menschen, auch in meinem. Meine Idee war es also, eine Band zu gründen, die von dieser Energie – einer anderen Energie – und diesem akustischen Sound beeinflusst ist.”
 
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