Eine musikalische Hommage mit Leidenschaft und Wut im Bauch
Mit “No More Water: The Gospel Of James Baldwin” legt die frischgebackene Grammy-Gewinnerin Meshell Ndegeocello nun ihr zweites Album bei Blue Note vor, das in der US-Presse bereits euphorisch als Meilenstein gefeiert wird.
Meshell Ndegeocello(c) Andre Wagner
02.08.2024
Das Album auf LP, als exklusive signierte Sonderedition und White Label finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Mit 55 Jahren (über 30 davon als Solokünstlerin) und nunmehr 14 eigenen Alben muss Meshell Ndegeocello heute niemandem mehr etwas beweisen. Nicht, dass sie eine ungemein raffinierte Songschreiberin mit einer sicheren Hand für eingängige Hooks und zum Nachdenken anregende Lyrics ist. Nicht, dass sie eine exzellente und technisch vielseitige Bassistin ist, die den Groove in ihrer DNA zu haben scheint. Und auch nicht, dass sie eine der markantesten weiblichen Stimmen der zeitgenössischen Musikszene besitzt, die sie mal sinnlich und verführerisch sanft klingen lässt und dann wieder aufmüpfig, spöttisch und derb.
Schon ganz am Anfang ihrer 1993 begonnenen Solokarriere schrammte sie mit ihren Alben mehrfach nur haarscharf an einer Grammy-Auszeichnung vorbei. Gebrochen wurde der Bann Anfang dieses Jahres, als Meshell die Trophäe für ihr brillantes Blue-Note-Debüt “The Omnichord Real Book” erhielt. Und man könnte fast unken, dass extra für sie eine neue Kategorie geschaffen werden musste. Wobei deren Name (“Best Alternative Jazz Album”) durchaus debattierbar ist. Jetzt legt Meshell mit “No More Water: The Gospel Of James Baldwin” ihr zweites Album bei dem von Don Was geführten Label vor. Und nach Einschätzung von Glide Magazine-Autor Jim Hynes könnte dieses gut als ein Meilenstein in die Geschichte eingehen. Hynes stellt “No More Water” auf eine Stufe mit ikonischen Aufnahmen von Gil Scott-Heron und der Nina Simone der Black-Power-Ära, merkt aber an, dass Meshells Ansatz “modern und glühender” sei: “Dieses bissig-provokative, intensive Werk ist so überwältigend, dass es in einem einzigen Hördurchgang kaum zu erfassen ist.”
Das Doppelalbum ist eine Hommage an James Baldwin (1924–1987), der einer der bedeutendsten afroamerikanischen Schriftsteller und Aktivisten des 20. Jahrhunderts war. Baldwins Werke fanden in den vergangenen zehn Jahren durch die “Black Lives Matter”-Bewegung wieder weltweit neue Beachtung. Pünktlich zum 100. Geburtstag des Autors am 2. August zollt Meshell Ndegeocello ihm nun in 17 aufwühlenden und musikalisch packenden Songs Tribut, die genau so klug, unverblümt und introspektiv sind, wie es der Schriftsteller in seinem Leben und Werk war. Und sie hätte es kaum zu einem besseren Zeitpunkt tun können. Denn James Baldwin gehört zu den Autoren, deren Arbeiten auf Druck reaktionärer Politiker und Interessengruppen in den USA gerade unter fadenscheinigen Vorwänden aus vielen Bibliotheken verbannt werden.
Produziert hat Meshell Ndegeocello “No More Water” gemeinsam mit ihrem langjährigen Gitarristen Chris Bruce, mit dem sie schon seit ihrem dritten Album “Bitter” (1999) eng zusammenarbeitet. Obwohl Meshell natürlich als Sängerin, Bassistin und Multiinstrumentalistin in Erscheinung tritt, ist ihre Hauptrolle hier eher die eines Mannschaftskapitäns oder Trainers. “Niemand macht irgendetwas alleine”, sagt sie in einem gerade von der New York Times veröffentlichten ausführlichen Feature. “Es gibt Künstler wie Prince und Stevie Wonder, die das alles alleine machen können. Ich mag einfach die Banderfahrung. Ich denke, dass es einfach etwas sehr Afrikanisches hat. Es gibt der Musik ein bestimmtes Gefühl.”
Im Grunde ist das Album also eine Gemeinschaftsarbeit mit den “wahnsinnig begabten Musikern ihrer Band” (New York Times): neben dem bereits erwähnten Chris Bruce sind dies der Sänger Justin Hicks (dessen Debütalbum Meshell übrigens gerade produziert!), der Saxofonist Josh Johnson (der “Omnichord” produziert hatte), Keyboarder Jebin Bruni und Schlagzeuger Abe Rounds. Dazu gesellen sich außerdem bei einigen Stücken noch die Sängerin Kenita Miller-Hicks, die Keyboarder Jake Sherman und Julius Rodriguez sowie der Trompeter Paul Thompson. Als Co-Autor vieler Songs wird zudem James Baldwin genannt, aus dessen Werken Meshell reichlich zitieren lässt. Andere Texte stammen wiederum aus ihrer eigenen Feder. Und dann gibt es schließlich auch noch faszinierende Spoken-Word-Beiträge von der scharfzüngigen jamaikanischen Poetin Staceyann Chin und dem Pulitzer-Preisträger und Autoren Hilton Als.