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Natalie Cole – Leavin'

07.02.2007
Mit “Leavin'”, ihrem zweiten Album für Verve und dem ersten nach einer vierjährigen Pause, meldet sich Natalie Cole zurück. Endlich, und noch dazu mit überraschendem Material, zumindest für diejenigen, die sie in erster Linie durch ihre Soul-Hits oder erfolgreichen Interpretationen der Songs ihres Vaters Nat “King” Cole kennen.
“Meine Plattenfirma meinte: ‘Du bist eine der besten Jazzstimmen unserer Zeit. Ein neues Jazzalbum könntest Du mit links machen’”, kommentiert die 56jährige ihre Entscheidung, nach fünfzehn Jahren, mindestens so vielen Platinaus- zeichnungen, acht Grammys und über 30 Millionen verkauften Tonträgern, mal etwas ganz anderes machen zu wollen. “Aber das war genau der Grund, warum ich es eben nicht machen wollte. Es hätte mich ehrlich gesagt ein bißchen gelangweilt. Ich singe zwar auch Jazz, aber ich bin keine Jazzsängerin. Ein entscheidender Unterschied.” Auf ihrem ersten Album seit dem Erfolg von “Ask A Woman Who Knows”, das 2002 auf Platz 1 in die Billboard-Jazz-Charts einstieg, zeigt sich Natalie Cole zwar immer noch als großartige und originelle Interpretin – nur diesmal singt sie die Songs ihrer eigenen und auch einer jüngeren Generation. Gemeinsam mit dem Grammy-verwöhnten Dallas Austin, der schon als Produzent für Madonna, Michael Jackson, TLC und Gwen Stefani agierte, erfand sie einige ihrer erklärten Lieblingslieder der modernen Popgeschichte neu.

Die Bandbreite überzeugt: Sie reicht von Fiona Apples “Criminal”, in einer bläserbestückten Funk-Version, über Aretha Franklins “Day Dreaming”, dessen cooler Beat mit den programmierten Horn-Riffs fast an Beyoncé erinnert, und ein rockendes Cover von Neil Youngs “Old Man” bis zur Popballade “The Man With The Child In His Eyes” von Kate Bush oder Stings “If I Ever Lose My Faith In You”. Bei all diesen so verschiedenen wie logischen Versionen zeigt Natalie Cole, was sie kann. Ihre einzigartige Stimme, in der oft eine weibliche Variante der samtigen Sinnlichkeit ihres Vaters Nat “King” Cole mitschwingt, ist so wandel- und wunderbar wie nie zuvor: Sie croont sehnsüchtig, erforscht ihre tieferen Lagen mit Gänsehaut-Niveau und bringt schönstens schreiend ihre Gospel-Seele zum Klingen.

Alles, was man über Stephanie Natalie Cole wissen muß, hat sie vor ein paar Jahren in ihrer Autobiographie “Angel On My Shoulder” aufgeschrieben. Darin erzählt sie, die am 6. Februar 1950 als Tochter des legendären Sängers und Pianisten Nat “King” Cole und der Duk-Ellington-Sängerin Maria Cole in Los Angeles geboren wurde, erstaunlich offen und ausführlich über ihren Kampf mit Drogen und Alkohol, über ihre Karriere und das Musikgeschäft, ihre Probleme als Tochter einer Ikone, und ihre Ehe mit, die Scheidung von und den Tod ihres ersten Mannes, des songschreibenden Reverend Marvin Yancy.
In vielerlei Hinsicht findet man Natalie Cole und ihre Lebensgeschichte allerdings auch in der vielseitigen Soulmusik ihrer aktuellen CD wieder. Der Opener “Criminal”, der Fiona Apple vor zehn Jahren ihren ersten Hit verschaffte, beginnt mit den Worten “I’ve been a bad, bad girl…” und nutzt den Rest der Zeit für Absolutionsbitten. So oder ähnlich könnte Natalie Cole ihren letzten Ehemann Bishop Kenneth Dupree um Vergebung gebeten haben, bevor sich die beiden am 12. Dezember 2001 das Ja-Wort gaben.

Der Titelsong “Leavin'”, ein hochdramatischer Abschiedssong von Shelby Lynne, komplett mit wummernder Hammond-Orgel und herrlichem Harmoniegesang, könnte ebenfalls Bishop Kenneth Dupree, von dem sie sich 2004 aufgrund “unvereinbarer Differenzen” wieder scheiden ließ, und all den übrigen Männern gewidmet sein, die ihr (oder irgendeiner anderen Frau) das Herz gebrochen haben. Vielleicht ist sogar “Lovin' Arms”, der Country-Hit von Tom Jans, den vor Natalie Cole auch schon Elvis Presley oder Tanya Tucker interpretiert haben, einem ihrer drei bisherigen Ehemänner gewidmet. “Ein bißchen Country habe ich schon in mir”, sagt die Sängerin dazu. “Obwohl ich das vor ein paar Jahren wohl noch nicht zugegeben hätte. Ich liebe die Geschichten dieser Musik.”

Ihre rockende Version von Neil Youngs Generationskonfliktshymne “Old Man” (u.a. mit Blues-Star Keb' Mo an der Gitarre) könnte himmelwärts gerichtet sein, an die Adresse ihres 1965 verstorbenen Vaters. Das modern produzierte “Day Dreaming”, einer der ersten Hits aus der Feder Aretha Franklins und eines der Highlights des Albums, ist eine wunderschöne Anerkennung ihrer frühen Souleinflüsse. Mit den Worten “Now this is for the Old School…” beginnt Natalie den entspannten Halfstepper “The More You Do It”. Ein sehr persönlicher Song – schließlich schrieb ihn Natalies erster Ehemann Marvin Yancy gemeinsam mit seinem Songwriting-Partner Chuck Jackson 1978 für den Soulsänger Ronnie Dyson.

Ebenfalls sehr “old-schoolig”, nämlich fast so, als wären Booker T. und seine M.G.s zurück in den Stax-Studios, klingt “Love Letter”, ein Song den Bonnie Hayes einst für Bonnie Raitt schrieb. Fast sehnsüchtig und sicherlich sentimental klingt Natalie Cole auf der mit sanften Streichern verwöhnten Ballade “The Man With The Child In His Eyes”, bekannt von Kate Bush. “5 Minutes Away”, ein grandioses Liebeslied und das einzige Original des Albums, geschrieben von Natalie Cole und ihrem Produzenten Dallas Austin, fügt sich perfekt in diese Hitsammlung ein.

Bei “Don’t Say Goodnight”, einem Hit der Isley Brothers, zeigt sich Natalie Cole von ihrer verführerischen Seite. Schon mit ihrer gesprochenen Intro, die mit allerhand schmeichlerischen Worten zur Zeile “I wanna love you, over and over again…” überleitet, veredelt sie den Smooth-Pop-Klassiker von 1980. Frisch und fröhlich wirkt auch der lebensphilosophische Hit “You Gotta Be”, einigen vielleicht noch in der Originalversion der britischen Sängerin und Songschreiberin Des’Ree im Ohr. Das Stück hielt sich 1994/95 sage und schreibe 80 Wochen lang in den Billboard-Charts. Der letzte Song des Album, “If I Ever Lose My Faith In You”, einst ein Hit für Sting, klingt auch in dieser Version wie eine Abrechnung mit Kirche, Staat und Wissenschaft – und wie die Beschwörung der nie versiegenden Hoffnung auf die Kraft der Liebe.

“Ich habe meinem Produzenten Dallas Austin so viel zu verdanken”, schwärmt Natalie Cole. “Er gab mir einen Spielplatz, auf dem ich mich austoben konnte. Anschließend haben wir gemeinsam entschieden, was funktioniert. Aber ‘Nein’ hat er nie gesagt. Er hat mich immer unterstützt, was mir sehr wichtig war. Die Aufnahmen haben eine tolle Energie und das liegt auch an den Musikern, die immer voll dabei waren. Da ist viel Liebe und Stimmung in diesen Tracks und ich denke, das kann man auch hören – laut und deutlich.”

Wer sich an Natalie Coles frühe Soul-Hits erinnert, an ihren Welterfolg mit Bruce Springsteens “Pink Cadillac” von 1987 oder “Calling You”, den Titelsong aus “Out Of Rosenheim”, den sie auf ihrem letzten Album zu neuem Leben erweckte, sieht in dieser Songauswahl keinen ganz so überraschenden Wandel mehr. Natalie Cole ist und bleibt eine große Sängerin, sicherlich eine der am leichtesten zu erkennenden und individuellsten Stimmen unserer Zeit, egal ob sie nun Jazz oder Soul oder Pop singt. Daß sie sich auf ihrem neuen Album der Musik einiger ihrer Zeitgenossen widmet, ist deshalb natürlich nicht nur konsequent und sympathisch, sondern vor allem erfreulich. Die sehr persönlichen Coverversionen von “Leavin'” markieren tatsächlich die willkommene Rückkehr der Natalie Cole.
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