Es kommt nicht allzu oft vor, dass Vertreter verschiedener Generationen dieselbe Sprache sprechen. Doch bei den musikalischen Dialogen zwischen den Gitarristen Nels Cline und Julian Lage merkt man in keiner Weise, dass diese beiden Saitenkünstler mehr als 30 Jahre Altersunterschied trennen. Wie exzellent die Chemie ist, die zwischen ihnen herrscht, bewiesen sie vor vier Jahren schon auf ihrem ersten gemeinsamen Album “Room”, das hymnische Kritiken erntete. Jetzt zeigen sie auf dem Blue-Note-Album “Currents, Constellations”, diesmal verstärkt durch ein ebenso stürmisches wie wendiges Rhythmusgespann aus Bassist Scott Colley und Drummer Tom Rainey, wie sehr sie sich seitdem entwickelt haben.
Die Kompositionen, die Bandleader Cline für das neue Album geschrieben hat, sind auf eine charmante, fast schon Thelonious Monksche Art sperrig und kantig sowie oft mit humorvollen Drehungen und Wendungen versehen. Mal sind die Stücke extrem groovig, dann wieder strotzen sie vor Energie und wilder Schönheit, können aber auch ungeheuer melodisch und atmosphärisch sein. Abgerundet hat Cline sein originelles Eigenrepertoire hier durch eine ebenso fantasievolle Überarbeitung des eindringlichen Songs “Temporarily”, den die junge Carla Bley Anfang der 1960er Jahre für das Jimmy Giuffre 3 geschrieben hatte.
Als Nels Cline im August 1987 sein erstes Soloalbum für das Münchener Label Enja einspielte, entwickelte sich sein heutiger Partner Julian Lage noch im Leib seiner Mutter. Denn Julian kam erst am 25. Dezember desselben Jahres zur Welt. Aber dann holte er in Windeseile auf: mit acht Jahren sorgte ein Dokumentarfilm über ihn für erste Furore, mit 12 trat er bei den Grammys auf und mit 15 war er beim Stanford Jazz Workshop nicht etwa als Student eingeschrieben, sondern unterrichtete dort seine Altersgefährten. 2009, ein Jahr nach seiner Berklee-Abschlussprüfung, legte Lage dann auch schon sein Soloalbum “Sounding Point” vor, auf dem er sich als ausgesprochen reifer Gitarrist und Komponist präsentierte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nels Cline bereits eine schier überwältigende Anzahl (nicht nur stilistisch) unterschiedlicher Projekte auf seinem Konto und war an der Einspielung von rund 120 Alben beteiligt gewesen (mittlerweile hat er die Marke von 150 überschritten!). Er arbeitete dabei mit Free- und Avantgarde-Jazzern ebenso wie mit Punk-, Rock- und Popmusikern oder gar der Performance-Art-Band Blue Man Group. Seit 2004 kennt man ihn vor allem als Lead-Gitarristen der weltweit gefeierten Indie-Rock-Band Wilco und durch seine Zusammenarbeit mit Lee Ranaldo und Thurston Moore von Sonic Youth. Der Rolling Stone ernannte Cline 2007 zu einem der “Top 20 New Guitar Gods” und gab ihm zudem den Titel “der Avantgarde-Romantiker” (diesem Ruf wurde er 2016 auf seinem fantastischen Blue-Note-Debütalbum “Lovers” mehr als gerecht).
Jetzt haben der nicht mehr ganz so neue Gitarrengott und das einstige Wunderkind mit “Current, Constellation” eines der spannendsten Jazzgitarrenalben seit Marc Johnsons “Bass Desires” (mit John Scofield, Bill Frisell und Peter Erskine) eingespielt.