The Nels Cline Singers – die hohe Kunst des gefühlvollen Schredderns
Auf “Share The Wealth” brennt die experimentierfreudige Band ‘The Nels Cline Singers’ ein spektakuläres kreatives Klangfeuerwerk ab, das seinesgleichen sucht.
The Nels Cline Singers - Share The Wealth
12.11.2020
Dass die Nels Cline Singers kein Gesangsensemble wie etwa die Singers Unlimited sind, sollte sich mittlerweile in der Szene herumgesprochen haben. Seit Gitarrist Nels Cline diese Band 2002 als Trio ins Leben rief, tobt er sich mit ihr schon auf sechs Alben sehr lustvoll und experimentierfreudig aus. Zur Sache geht es dabei fast ausschließlich instrumental und häufig mit hochinteressanten Gästen (für “The Celestial Septet” rekrutierte er 2010 gleich das ganze Rova Saxophone Quartet).
Für das nun erscheinende siebte Album “Share The Wealth” trommelte Cline die bislang wohl spannendste “Reinkarnation” der Band zusammen: mit dem Saxofonisten und Punk-Jazz-Ikonoklasten Skerik (Critters Buggin, The Dead Kenny G’s, Garage A Trois, Les Claypool, Stanton Moore), Keyboard-Wunder Brian Marsella (John Zorn, The Modulators, Cyro Baptistas ‘Beat The Donkey’, Jon Madofs ‘Zion80’) und dem brasilianischen Meister-Perkussionisten Cyro Baptista (John Zorns ‘The Dreamers’, Caetano Veloso, Paul Simon). Das ebenso muskulöse wie flexible Rhythmusgespann bilden wieder Drummer Scott Amendola (Bill Frisell, Charlie Hunter, Ben Goldberg), der schon von Anbeginn dabei ist, und Bassist Trevor Dunn (Mr. Bungle, John Zorn), der 2014 das Ursprungsmitglied Devin Hoff ablöste.
“In dieser Konstellation hat die Band nicht einen Live-Gig gespielt”, erklärt der unerschrockener Klangtüftler Nels Cline, der auch als Geheimwaffe der Rockband Wilco bekannt ist. “Das ganze Ding war also im Grunde ein Experiment. Als wir all diese Jams aufnahmen, hatte ich im Hinterkopf die Idee, winzige Fragmente von ihnen zu nehmen und ein collagenartiges, psychedelisches Album im Stile von Os Mutantes* oder etwas ähnlich Verrücktes zu kreieren [*die einflussreiche brasilianische Psychedelic-Rock-Band um Sängerin Rita Lee und Gitarrist Sérgio Dias ging 1966 aus der Tropicália-Bewegung hervor]. Aber als ich mir die Jams anhörte, gefielen sie mir so gut, dass ich sie intakt lassen wollte. Einige der verblüffendsten Übergänge kamen nicht durch nachträgliche Bearbeitung zustande. Sie ergaben sich einfach während dieser ausgedehnten Improvisationen im Studio von selbst, fast wie Magie.”
Mit einer atemberaubenden psychedelischen Version von “Segunda” gelingt der Band der perfekte Einstieg in dieses absolut abenteuerliche Album. Den Song hatte Caetano Veloso 2011 für Gal Costas Album “Recanto” komponiert. Die Nels Cline Singers heben die Nummer hier auf ein völlig neues Niveau. Ein weiteres Highlight ist das 17-minütige “Stump The Panel”, das den Jam-Charakter des Albums wunderbar unterstreicht. Es ist erstaunlich, wie es der Band hier gelingt, erst ein spektakuläres Klangchaos zu entfachen und aus diesem dann immer wieder schlagartig neue Melodien und groovige Parts herauszuschälen. In “The Pleather Patrol” geht es wiederum heftig in Richtung P-Funk, wenn auch mit avantgardistischen Unter- und Zwischentönen. Aufgelockert wird das Programm mit sanfteren Stücken wie dem grandiosen “Beam-Spiral”, “Nightstand” oder dem feierlichen Requiem “Passed Down”, das Cline einem Freund widmete, der sich kürzlich das Leben nahm.
Aufgenommen wurde “Share The Wealth” in nur zwei Tagen. “Das wenige Material, das ich zu der Session mitbrachte, lernte die Band vor Ort im Studio kennen und spielte es vom Fleck weg ein”, verrät der Gitarrist. “Es gab keine Aufwärmphase für diese Session, in der sich die Musiker mit dem Material hätten vertraut machen können. Ich habe ihnen vorab nicht einmal Musik zugeschickt. Wir spielten sie einfach im Studio runter.”
Die LP-Version des Albums erscheint erst am 8. Januar 2021, kann aber schon vorbestellt werden.