Eins plus eins macht zwei. Meistens zumindest, manchmal ist das Ergebnis dieser Formel auch mehr als die Summe ihrer Einzelteile. So der Fall beim ersten Zusammentreffen von Jazzmusiker Nils Petter Molvaer und Elektronik-Koryphäe Moritz von Oswald. Die Klanglandschaften ihres gemeinsamen Albums “1/1”, mal cineastisch-sphärisch, mal minimalistisch verdichtet, lassen aus der künstlerischen Symbiose zweier Individualisten und ihrer jeweiligen Genres etwas Einzigartiges entstehen. Auf emotionaler Ebene ist es, wie Moritz von Oswald sagt, “Noirmusik”, eine sehr moderne Spielart von Nachtmusik. Traummusik, geschrieben für die “Phantommelodie im Kopf, die bleibt, wenn die Musik bereits verhallt ist, und nur mehr die Geräusche der dunklen Großstadt zu hören sind”. Oder durchaus funktional gesehen: Musik für Bars, für Fahrten im Nachtzug und über die menschenleere Autobahn.
Mit großer, aber niemals überlaut auftretender Autorität balancieren sich die beiden Musiker, die Größen ihres jeweiligen Faches sind, gegenseitig aus. Einerseits in Molvaers lyrischen Trompetenstößen, denen eine enorme poetische Narration innewohnt, andererseits in der dissonanten elektronischen Raumgestaltung von Oswalds. Den Titel “1/1” trägt das Album in Anspielung auf die beiden Welten, die hier aufeinanderstoßen. Das Treffen der zwei Musiker wurde übrigens von der Schallplattenfirma arrangiert, es war kein Zufall. Fruchtbar wurde es aber erst, weil beide die Arbeit des jeweils anderen schätzen. Im Falle Nils Petter Molvaers waren es vor allem von Oswalds Trio-Veröffentlichungen, umgekehrt schätzt von Oswald besonders die legendären ECM-Veröffentlichungen des Norwegers, “Khmer” von 1997 und vor allem “Ether”, das zur Jahrtausendwende entstand. Nur durch diesen gegenseitigen Respekt konnten das Spiel mit Pausen und Leermomenten, Störgeräuschen, überraschenden Harmoniewechseln, verhallenden Trompetentönen, verzerrten Analogsynthesizers und vor allem der Sogkraft der Repetition einander zu einem höchst facettenreichen, ausdifferenzierten Parcours ergänzen.
“Ich war immer schon ein großer Jazzfan”, gesteht von Oswald, der klassischer Perkussionist war und bei der Pop-Band Palais Schaumburg mitwirkte, bevor er sich einen Namen als Techno-, Dub- und House-DJ/Produzent machte. “Überall in meinem Haus liegen die mir wichtigen Alben griffbereit. Die dem Jazz innewohnende Freiheit habe ich in der Klassik vermisst – und nicht zuletzt auch in der Clubmusik.”
“1/1” ist Jam-basierte Hybridmusik, ein stetiges Pendeln zwischen Mensch und Maschine, in der das improvisierende Element – der auf den Punkt gesetzte Ton Molvaers – stets auf ein sequenziertes, zugleich durchlässiges “Grid” trifft. Nicht zufällig entsteht so ein belastbarer Spannungsbogen, der über die gesamte Spieldauer von etwas mehr als einer Stunde trägt. Nicht nur gehen die Tracks fließend ineinander über, ihnen wurde auch der Raum zur Entfaltung geschenkt. Es gibt eine Art Aufgabenteilung zwischen den Entitäten Nils Petter Molvaers als lyrischem Element und Moritz von Oswald als Architekt von synthethisch-dissonanten Stimmungen.