Nylon sind zurück. Charmant. Zeitlos. Unprätentiös. In England würde man vielleicht “sophisticated” sagen. Die “eher zufällig zustande gekommene Erfolgsgeschichte” (Bassist Paul Kleber) geht weiter. Schließlich hatte sich das Berliner Quintett erst im Frühjahr 2004 formiert. Aus einer Laune heraus. Alle Bandmitglieder waren bis dahin erfolgreich in diversen anderen Projekten engagiert. Sozusagen eine Berliner Jazz-und-Electronica-Supergroup! Begleitet von einer bemerkenswerten Medienresonanz begaben sich Nylon nach dem ersten Album “Die Liebe kommt” umgehend auf die Clubbühnen der Republik. Hier wurde mal eben bewiesen, daß die positiven Kritiken zu Recht erschienen sind. Ein handfester Start, der gut zum Selbstverständnis von Nylon paßt: Solide und stilsicher.
Die Neue Musikzeitung diagnostizierte gewohnt nüchtern in ihrer September-Ausgabe 2004: “Mit groovigen Electrosounds entstaubt die Band um Sängerin Lisa Bassenge das Material, das beweist, daß deutsche Texte nicht automatisch nach Omas Grammophon oder Musikantenstadlschlagern klingen müssen.” Damals interpretierten Nylon “kühl und modern” (KulturSPIEGEL) Chansons und unsterbliche Songklassiker aus über 70 Jahren Entertainment-Geschichte. Eine Sound-Revue von Marlene Dietrich bis Carole King.
Im Sommer 2005 folgt nun die organische Weiterentwicklung. Wobei sich die konkrete künstlerische Richtung ganz praxisnah auf der letzten Winter-Tour ergeben hat. Fortschritt durch Bühnenerfahrungen. Wie bei einem improvisierten Konzert, wo man am Anfang auch noch nicht so genau weiß, was am Ende dabei heraus kommt. “Wir hatten keinerlei Masterplan im Kopf und waren sehr gespannt auf die Reaktionen des Publikums. Schließlich war die Kombination aus deutschsprachigen Chanson-Traditionals und elektronischen Sound-Elementen kein alltäglicher Pop-Ansatz, sondern eher ein Experiment”, sagt Bassist und Songschreiber Paul Kleber. “Ganz konkret war es die Resonanz des Publikums auf unsere Eigenkomposition ‘Kurze Weile’, die uns dazu inspiriert hat, verstärkt auf eigenes Material zu setzen.”
Gesagt, getan. Nach dem Debütalbum “Die Liebe kommt” nun also “Eine kleine Sehnsucht”. Aus den vielfältigen Projekten von DJ Stefan Rogall (Sonar Kollektiv, Atomhockey, Micatone), Sängerin Lisa Bassenge (Micatone, Lisa Bassenge Trio), Bassist Paul Kleber (Micatone, Lisa Bassenge Trio, Jazz Indeed), Hagen Demmin (Micatone) und Arnold Kasar (Atomhockey) ist Nylon in wenigen Monaten zu einer “richtigen” Band zusammengewachsen. “Wobei wir natürlich weiterhin mit dem Eierpappen-Proberaum-Klischee einer zünftigen Rock’n'Roll-Band nichts zu tun haben”, sagt Kleber. “Wir bleiben weiterhin Soundtüftler, die ‘modern’ arbeiten. Das bedeutet, daß die Layouts der Songs per Mikrofon und MiniDisc erstellt werden. Mit diesen Entwürfen geht es dann in unser zentrales ‘Sing Sing Studio’, wo zusammen mit dem Gesang auch die finalen Mixe entstehen.”
Acht Eigenkompositionen und zwei Coverversionen von Friedrich-Holländer (“Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre”) und dem Berliner Komponisten Theo Mackeben (“So oder so ist das Leben”) haben Nylon für “Eine kleine Sehnsucht” aus ihrem vielschichtigen Repertoire ausgewählt. Bei ihren Konzerten in Herbst und Winter hat sich bestätigt, daß ihre klassische Song-Auffassung jenseits von fiebriger Teenager-Extase vom Publikum verstanden und angenommen wird: “Während es bei den ersten Gigs im Oktober noch eher verhalten zuging, war es bei der Dezember-Tour, etwa beim Stuttgarter Auftritt, proppenvoll”, erzählt Kleber. “Ich bin mittlerweile guter Dinge, daß wir eine entsprechende Bühnenumsetzung für unser etwas eigenwilliges Crossover gefunden haben. Für mich funktionieren sogenannte Dancefloor-Acts live einfach nicht. Dieses Knöpfchendrücken am Laptop ist auf Dauer zu statisch und auch zu langweilig.” Und fügt mit einem Lächeln hinzu: “Als überzeugter Instrumentalist muß ich so etwas sagen.”
Das atmosphärische Spektrum auf “Eine kleine Sehnsucht” lebt vom Midtempo-Groove Nylonscher Prägung. Darunter fügen sich dann zerbrechlich-mädchenhafte Lebenserkenntnisse wie “Liebe macht blöd” oder das verträumte “Unter den Sternen”. Die Lyrics zu “Karaoke-Bar” sind einem typischen Tourerlebnis auf der Hamburger Reeperbahn geschuldet, als Paul und Lisa bis in den frühen Morgen hinein in bester Beatles-Manier versackten. In dieser Hinsicht sind Nylon doch ein bißchen Rock’n'Roll. “Wir flüchten uns nicht in die musikalische Vergangenheit und sind auch keine Nostalgie-Kapelle”, stellt Paul Kleber bestimmt fest. “Diese Gefahr, falsch eingeordnet zu werden, stellt sich natürlich bei unserem Song-Ansatz immer wieder. Das können wir bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Etwa durch die Auswahl unserer Auftrittsorte.” So spielen sie in Berlin bevorzugt in Rolf Edens legendärer Disco Big Eden. Ein bißchen trashig, ein wenig abgerockt, aber voll im aktuellen Leben stehend. “Wenn man so will, muß unser Retro-Image immer wieder gebrochen werden.” Um mit der Berliner Morgenpost zu reden: “Mit synthetischer Eleganz verbindet Nylon Tradition und Moderne, ähnlich wie der Chanson-Erneuerer Benjamin Biolay in Frankreich – und doch ganz anders.”