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Balladeske Freigeister – Masabumi Kikuchi, Paul Motian & Thomas Morgan

Auf seinem ECM-Debütalbum “Sunrise” präsentiert der japanische Pianist Masabumi Kikuchi mit Drummer Paul Motian und Bassist Thomas Morgan zehn im Kollektiv entworfene Balladen, die wunderbar frei und kantig klingen.
Masabumi Kikuchi, Paul Motian & Thomas Morgan - "Sunrise" - c John Rogers
Masabumi Kikuchi, Paul Motian & Thomas Morgan - "Sunrise" - c John Rogers© John Rogers / ECM Records
29.03.2012
“Sunrise” ist Masabumi Kikuchis ECM-Debüt und zugleich eine der letzten Sessions des großen Paul Motian. Die beiden Musiker waren über viele Jahre Freunde, und der im vergangenen November verstorbene Schlagzeuger verstand die Eigenarten und den eigenwilligen Charme des höchst persönlichen Stils des japanischen Pianisten vielleicht besser als sonst jemand. Zusammen mit dem Zen-Bassisten Thomas Morgan bildeten sie für “Sunrise” ein Trio, das hier interaktive freie Rubato-Balladen zu einer neuen Kunstform erhebt. Ein eigentümlich wundervolles Album!

Masabumi Kikuchis Einflüsse: Miles, Ellington, Stockhausen, Ligeti und Takemitsu

1939 in Tokio geboren, spielte Masabumi Kikuchi schon als Teenager mit Größen wie Lionel Hampton und Sonny Rollins. Seine ersten Aufnahmen machte er 1963 an der Seite von Toshiko Akiyoshi und Charlie Mariano (“East &West”). In den 1970ern arbeitete er mit Gil Evans und Elvin Jones, leitete aber auch eigene Gruppen, akustische wie elektrische, die seine musikalischen Einflüsse reflektierten: von Jazzern wie Miles Davis und Duke Ellington über Neutöner wie Karlheinz Stockhausen und György Ligeti bis hin zum Avantgardisten Tōru Takemitsu. Miles Davis begleitete er 1978 sogar bei einer Session, die bis heute unveröffentlicht ist. Nachdem er in den 80er Jahren auf einigen Alben die Möglichkeiten von Synthesizern ausgelotet hatte, kehrte er in den 90ern, nachdem er mit Gary Peacock und Paul Motian das Trio Tethered Moon gegründet hatte, wieder zum Spiel auf dem akustischen Piano zurück. Auf seinen Alben interpretierte das Trio u.a. Musik von Kurt Weill, Édith Piaf, Jimi Hendrix und Giacomo Puccini.

Mit 70 Jahren endlich zu seiner wirklich eigenen Musik gefunden

Aber wie Kikuchi dem Filmemacher Thomas Haley 2010 in der Kurzdoku “Out Of Bounds” erklärte, sind die Zeiten, in denen er die Musik anderer interpretierte, nun vorbei: “Ich möchte nicht Teil der Geschichte von jemand anders sein.... und ich fühle mich jetzt freier, weil ich begonnen habe, an mich selbst zu glauben.” Dementsprechend bricht der Improvisationskünstler, der zum Zeitpunkt der Aufnahmen 70 Jahre alt war, auf seinem ersten ECM-Album zu neuen Ufern auf. “In letzter Zeit bereite ich, bevor ich mich ans Klavier setze, weder vor, was ich spielen möchte, noch mache ich mir Gedanken darüber, wie ich spiele. Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, etwas Neues hervorzubringen, und ich denke, ich kann diese Musik wirklich endlich als meine eigene bezeichnen.”

Paul Motian als Katalysator

Im Begleittext zu “Sunrise” macht Kikuchi deutlich, dass er dies zu einem nicht unerheblichen Teil Paul Motian zu verdanken hat. Denn der war es, der ihn dazu ermunterte, spontaner und losgelöster zu spielen. Die Aufnahmen für dieses Album entstanden bereits 2009 in den New Yorker Avatar Studios und sollten Motians vorletzte ECM-Session sein (die letzte, “Live At Birdland”, machte der Schlagzeuger zwei Monate später mit Lee Konitz, Brad Mehldau und Charlie Haden). Kikuchi und Motian, die seit den frühen 1990er unzählige Male bei Tethered Moon und in Motians (erweitertem) Trio 2000 zusammenspielten, ergänzen sich traumhaft, da sie bestens mit den Eigenarten des anderen vertraut sind. Und Thomas Morgan, dessen scheinbar unfehlbarer Sinn für die richtigen Töne ihn zu einem der gefragtesten Bassisten in der New Yorker Improvisationsszene aufsteigen ließ, war der perfekte dritte Mann bei diesen Sessions. Gemeinsam intonieren sie hier zehn im Kollektiv entworfene Balladen, die wunderbar frei und kantig klingen.