Ohne die kühnen Visionen von Quincy Jones wäre die amerikanische Musikgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts ganz sicher um wichtige Kapitel ärmer. 70 Jahre lang war der 28-fache Grammy-Gewinner schier unermüdlich aktiv: sei es als Jazztrompeter, Komponist, Arrangeur und Bandleader, sei es als Musikproduzent, Manager von Plattenfirmen, Medienmogul, Film- und Fernsehproduzent sowie Philanthrop. Es gibt kaum eine musikalische Größe, mit der er nicht zusammengearbeitet hat: von Lionel Hampton, Dizzy Gillespie, Miles Davis und Count Basie bis hin zu Elvis Presley, Ray Charles, Frank Sinatra, Aretha Franklin und Michael Jackson.
“Ein altes Sprichwort sagt”, so gab Quincy Jones einmal zum Besten, “dass die meisten amerikanischen Jazzmusiker zuerst mit der Musik ins Bett gehen, um sie dann zu umwerben und später zu heiraten. Genau das ist mir passiert.” Jones durchlief diese drei Phasen in schwindelerregendem Tempo. Geboren 1933 in Chicago, wuchs er in Seattle und Umgebung auf, wo er mit elf Jahren seine Leidenschaft für die Musik entdeckte. Zunächst spielte er Klavier, bevor er in der Highschool zur Trompete wechselte und erste Arrangements schrieb. Als Mentoren zeichneten sich in dieser Zeit vor allem Count Basie und der Trompeter Clark Terry aus. Besonders inspirierend war auch die erste musikalische Begegnung, die der vierzehnjährige Quincy 1948 mit einem anderen späteren Superstar hatte: dem zwei Jahre älteren Ray Charles. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, die später unter anderem die Erfolgsalben “The Genius Of Ray Charles” und “Genius + Soul = Jazz” hervorbrachte. Mit Stipendien ausgestattet, studierte Jones Musik in Seattle und Boston, brach aber schon nach wenigen Monaten alles ab, um mit dem Lionel Hampton Orchestra auf Europatournee zu gehen. “Es war, als ginge ich zur Schule”, erinnerte er sich später an diese Erfahrung. In Hamptons Band bekam er an der Seite von erfahrenen Musikern binnen kürzester Zeit den letzten Schliff als Trompeter und Arrangeur.
Die nächste Station auf der steilen Karriereleiter war New York, wo er als Freelancer Arrangements für seinen Freund Ray Charles, Sarah Vaughan und Dinah Washington sowie für die Orchester von Count Basie, Duke Ellington und Gene Krupa schrieb. 1956 engagierte Dizzy Gillespie den 23-Jährigen als Orchesterleiter für eine vom US-Außenministerium gesponserte Tournee durch den Nahen Osten und Südamerika. Im selben Jahr nahm Jones unter der Leitung von Produzent Creed Taylor mit u.a. Art Farmer, Phil Woods, Hank Jones, Charles Mingus, Paul Chambers, Milt Jackson, Art Pepper, Zoot Sims und Herbie Mann sein erstes Album für ABC-Paramount auf: “This Is How I Feel About Jazz”. “Quincy Jones ist eines der besten Dinge, die dem Jazz seit vielen Jahren passiert sind”, schwärmte Billboard damals in seiner Rezension. “Ein junger Arrangeur und Komponist, der modern schreiben kann, aber den grundlegenden, zeitlosen Geist des Idioms versteht.”
1957 ging Jones nach Paris, um bei Nadia Boulanger, “der besten Kompositionslehrerin der Welt” (O-Ton Quincy), seinen musikalischen Horizont zu erweitern. In Paris erhielt er bei dem Label Barclay Records auch seinen ersten Job als Produzent und betreute in dieser Funktion sowohl europäische Stars wie Jacques Brel, Henri Salvador und Charles Aznavour als auch Aufnahmen von amerikanischen Jazzgrößen wie Sarah Vaughan und Billy Eckstine. Während seiner Zeit in Frankreich traf Quincy 1958 auch zum ersten Mal Frank Sinatra – es war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit. In den 1960er Jahren blühte Quincy Jones, inzwischen in die USA zurückgekehrt, so richtig auf und streckte seine Fühler in alle erdenklichen Richtungen aus. Mit “The Quintessence” schuf er 1961 für Impulse! Records ein Album, das zum „Inbegriff des modernen, progressiven Bigband-Sounds” (AllMusic) wurde, während er 1962 auf “Big Band Bossa Nova” (mit dem Hit “Soul Bossa Nova”) zeigte, dass die eigentlich leise, sehr intime Bossa Nova auch mit einer fetzigen Bigband gespielt werden kann. Mal verwandelte er Jazzkompositionen in Popnummern (“Quincy Jones Plays Hip Hits”, 1963), mal ging er den umgekehrten Weg (“Golden Boy”, 1964).
Gleichzeitig profilierte sich Quincy Jones immer stärker als Produzent für Künstler/innen der unterschiedlichsten Genres sowie als gefragter Komponist für Film und Fernsehen. “Wenn man eine Platte plant, muss man als erstes eine Richtung finden, ein Programm machen, sich für eine Stimmung entscheiden, oder für eine Vielzahl von Stimmungen”, erklärte Jones 1963 gegenüber dem Melody Maker seine Vorgehensweise. “Man muss einen Grund haben, die Session in eine bestimmte Richtung zu lenken. Wie entscheidet man das? Nun, man schaut sich den Katalog und das Repertoire des Künstlers an, was er in der Vergangenheit gemacht hat. Danach folgt man meistens seiner Intuition.”
Nachdem Quincy Jones 1974 ein Aneurysma erlitten hatte und sich zwei Hirnoperationen unterziehen musste, hängte er notgedrungen seine Trompete an den Nagel und konzentrierte sich noch mehr auf seine Arbeit als Produzent. 1978 nahm er den 20-jährigen Michael Jackson unter seine Fittiche und produzierte mit ihm drei Alben, die Popgeschichte schrieben: “Off The Wall” (1979), “Thriller” (1982) und “Bad” (1987). Aber auch mit eigenen Alben wie “The Dude” (1981), “Back On The Block” (1989), “Miles & Quincy Live at Montreux” (1993), “Q’s Jook Joint” (1995) und “Q Soul Bossa Nostra” (2010) feierte Jones weiterhin Erfolge.