Ron Miles ist einer der wenigen Kornettisten, die es heute noch in der Jazzszene gibt. Mit “Rainbow Sign” legt er nun sein erstes Album für Blue Note vor, das er mit einem All-Star-Quintett eingespielt hat.
Ron Miles - Rainbow Sign
29.10.2020
In der Frühzeit des Jazz waren Kornettisten wie Buddy Bolden, King Oliver‚ Freddie Keppard, Bubber Miley und Bix Beiderbecke tonangebend. Dann leitete Louis Armstrong den Umstieg von dem wärmer, weicher und runder klingenden Kornett auf die schneidender und direkter klingende Trompete ein, die sich auch besser für rasante Soli eignete. Das Kornett verkam in der Folge zu einem Exoteninstrument, auf das Trompeter – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur noch gelegentlich zurückgriffen. Das änderte sich erst wieder in den letzten dreißig Jahren, als das Kornett überraschend eine kleine Renaissance erlebte. Und dabei spielte Ron Miles, der nun mit “Rainbow Sign” sein Debüt bei Blue Note gibt, eine entscheidende Rolle.
Der 1963 in Indianapolis geborene, aber in Denver aufgewachsene Ron Miles begann seine Karriere 1986, nachdem er an der Manhattan School of Music seinen Abschluss gemacht hatte. Bekannter wurde er allerdings erst Mitte der 1990er, als er seine intensive Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Bill Frisell begann, die sich für beide Seiten als ungemein fruchtbar erweisen sollte. Während Miles einerseits auf einer Reihe von Frisell-Alben auftauchte (darunter der gemeinsam mit Elvis Costello aufgenommene Klassiker “The Sweetest Punch”), wirkte der Gitarrist auch an vielen Einspielungen des Kornettisten mit. So nahmen sie 2002 das außergewöhnliche Duo-Album “Heaven” auf sowie eine Dekade später im Trio mit dem Schlagzeuger Brian Blade “Quiver” und “Circuit Rider”. Für “I Am A Man” wurde diese Besetzung 2017 durch den Pianisten Jason Moran und den Bassisten Thomas Morgan zu dem All-Star-Quintett, das nun auf “Rainbow Sign” erneut zum Zuge gekommen ist.
Neun neue Kompossitionen schrieb Ron Miles diesmal für das Ensemble, den Großteil davon im Sommer 2018, als er seinen sterbenden Vater betreute. Diese Erfahrung hattte einen merklichen Einfluss auf die nachdenkliche, mal wehmütige, mal hoffnungsvolle Stimmung des Albums. “Rainbow Sign” ist zudem ein fesselndes spirituelles Dokument, das auf eine Vielzahl inspirierender Quellen verweist: etwa ein altes Spiritual aus der Sklavenzeit mit dem Titel “Mary Don’t You Weep” und den Textzeilen “God gave Noah the rainbow sign / No more water, the fire next time”, aus denen der Schriftsteller James Baldwin 1963 den Titel für seinen Essayband “The Fire Next Time” ableitete. “Regenbögen haben etwas mit Erneuerung zu tun”, meint Ron Miles. “Der Titel des Albums ist auch eine Referenz an ein Lied der Carter Family. Und Regenbögen tauchen außerdem im Buch der Offenbarung auf…”
Für “Rainbow Sign” hat Ron Miles die Ästhetik des farbig schillernden Regenbogens perfekt eingefangen, am beeindruckendsten vielleicht in dem Song “Queen Of The South”, zu dem er laut eigener Aussage von äthiopischer Popmusik inspiriert wurde. Oberflächlich betrachtet wirkt die Musik des Album unbekümmert und wie geschaffen für eine ruhige Reflexion unter bedecktem Himmel. Wenn man aber tiefer gräbt, stößt man auf starke Verbindungen nicht nur zum Jazz, sondern auch zum Blues. In Miles' Augen vermittelte der Blues die Freiheit, die Afroamerikanern zu lange vorenthalten wurde. “Es war die erste Musik, die Schwarzen wirklich Möglichkeiten bot”, meinte er. “Davor waren die Möglichkeiten sehr begrenzt: Du konntest in den Himmel kommen, aber du durftest nicht reisen. ‘Rainbow Sign’ enthält eine Musik, die dem Blues treu ist und doch die Zeit, in der wir uns gerade befinden, widerspiegelt. Zugleich zeigt sie uns auch, was möglich ist.”