Sarah McCoy verbrachte den Großteil ihrer Zwanziger als Sängerin und Pianistin in den glühend heißen Clubs von New Orleans – der perfekte Ort für ihr Aussteigerleben, das sie mit Anfang 20 gewählt hatte. Jetzt, mit 33 Jahren, führt sie eine Tradition fort, die von Tom Waits, Amy Winehouse und Leon Russell perfektioniert wurde: Sie macht aus ihrer eigenen, komplizierten Biografie musikalische Poesie.
Geboren wurde sie in Pine Plains, New York, einem Kaff mit knapp 2.500 Einwohnern, als Tochter einer ehemaligen Nonne, Dichterin und Lehrerin und eines gesundheitlich angeschlagenen Kriegsveteranen. Als Sarah noch ein Kind war, zog die Familie um in das wärmere Klima von Charleston, South Carolina. Ihre Eltern versprachen ihr “Alligatoren und Kokosnüsse”, und für ein paar Jahre genoss Sarah es tatsächlich, in unmittelbarer Nähe des Strandes zu leben. Aber dann musste sie sich dem Tod ihres Vaters und ihrer Großmutter stellen, die innerhalb weniger Tage gestorben waren.
Ihre Rettung war ein Klavier, das der verstorbenen Frau eines Familienfreundes gehört hatte. Sarah nahm klassischen Pianounterricht und begann Lieder zu schreiben, die ihre dunklen Gefühle widerspiegelten. In ihren späten Teenagerjahren entdeckte sie dann, dass sie singen konnte: „Ich sang, um mich am Steuer wach zu halten". Eine zerbrochene Beziehung gab ihr den Anstoß, Charleston zu verlassen, “um den toten Träumen der Sechziger nachzulaufen und aus meiner eigenen Realität zu fliehen. Ich wollte unbedingt wissen, was es sonst noch gab”.
Sarah trampte nach Kalifornien. Mit einer Gitarre bewaffnet, begann sie in San Diego herumzustreunen und das ultimative Nomadenlied “Me & Bobby McGee” zu singen. Während einer Phase in der sie abwechselnd auf den Sofas von Bekannten und in verlassenen Gebäuden übernachtete, zog sie weiter nach Monterey, wo sie sich für vier Jahre niederließ. Dort machte sie Straßenmusik, spielte Klavier in einer Bar (“als Gage gab es Quesadillas”) und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Eines Tages traf sie den Gitarristen Salvatore Geloso, der auf der Durchreise war. "Nach einem Nachmittag, an dem ich durch seine Musik und Worte so eine Art spirituelle Wiedergeburt erfahren hatte“, sagt Sarah, “meinte Sal, dass ich, wenn ich ihn mal wiedersehen wolle, nach New Orleans kommen solle”.
Im Februar 2011 machte sie sich mit ihrer besten Freundin Alyssa Potter, einer Glockenspielerin, auf die Reise nach New Orleans, mit einem Auto, das Sarah für 500 Dollar von einer ihrer „Straßenschwestern“ gekauft hatte. Sarah fand Sal – und Zuflucht. "Eine der Sachen, die mich in New Orleans sofort wie zu Hause fühlen ließen, war, dass dort alle ein wenig kaputt sind. Du bist nie der Verrückteste, der die Straße entlangläuft. Es gibt immer jemanden, der durchgeknallter ist“.
Sarah und Alyssa machten Straßenmusik und spielten in jedem Laden, der sie hereinließ, "selbst wenn ich in einer leeren Bar landete und zwei Stunden für drei Betrunkene sang. Nach einiger Zeit entdeckte sie der namhafte Spotted-Cat-Club im French Quarter der Stadt und stellte sie an, zwei Tage in der Woche rund um die Cocktailstunde Musik zu machen. Dort begann Sarah ihre wirkliche Stimme zu finden. Sie gründete eine Backup-Band, die Oopsie Daisies, deren Mitglieder kamen und gingen. Ein Bassist, Alvin (Dizzy) Rucker, spielte “eine große Tupperware-Wanne mit einem Mopp-Stiel und einer einzelnen Bass-Saite”. Alyssa spielte Glockenspiel, Sal Gitarre. "Ich habe lange ohne Mikrofon gespielt, eine Weile sang ich in einen Eimer hinein. New Orleans ist so reich an unglaublichen Klängen und Geräuschen, Inspiration gab es an jeder Ecke“.
Im Jahr 2013 entdeckte der französische Filmemacher Bruno Moynie, der heute ihr Manager ist, Sarah im Spotted Cat, drehte eine enthusiastische Filmdokumentation über sie und überredete sie schließlich zu einer Konzertreise quer durch Frankreich. Im Januar 2014 veranstaltete OffBeat, das Musikmagazin in New Orleans, seine jährlichen „Best of the Beat“ Awards. Sarah wurde als beste Nachwuchskünstlerin nominiert, neben Cyril Neville von den Neville Brothers, Jon Batiste, Jason Marsalis und Tab Benoit. “Es war mir egal, dass ich nicht gewonnen habe”, sagt sie heute. “Ich habe ein paar Songs gespielt und war danach sofort auf dem Weg nach Frankreich. Wie toll ist das denn?”. Die nächsten drei Jahre pendelte sie regelmäßig zwischen Paris und New Orleans hin und her.
Im April 2017 spielte Sarah in Paris im Vorprogramm von Jarvis Cocker und Chilly Gonzales, die ihr gemeinsames Album „Room 29“ präsentierten. Noch am selben Abend lud Chilly sie ein, im Studio ein paar Testaufnahmen zusammen mit seinem Co-Produzenten Renaud Letang zu machen. Der aus dem Iran stammende Künstler ist der Kopf hinter erfolgreichen Alben von Künstlern wie Feist, Manu Chao, Seu Jorge, Jane Birkin und Jamie Lidell. Die Testaufnahmen gerieten fabelhaft. Im Oktober zog Sarah endgültig nach Paris, im Februar 2018 nahm sie mit Gonzales und Letang für Blue Note Records ihr Album „Blood Siren“ auf.
Stand: Januar 2019