Transkulturelle Musik mit einem ganz besonderen Zauber
Auf “Watersong”, dem jüngsten Album von Savina Yannatou mit dem Ensemble Primavera en Salonico, kommt es zu einem Wiedersehen zwischen der griechischen Sängerin und ihrer tunesischen Kollegin Lamia Bedioui.
Savina Yannatou / Lamia Bedioui (c) Alex Kat / ECM Records
09.04.2025
Um das Wasser in seinen vielfältigen Erscheinungsformen geht es in den Liedern von “Watersong”, dem fünften ECM-Album der griechischen Sängerin Savina Yannatou. Wasser als Segen und als Fluch. Eine lebenserhaltende Quelle, ein Medium der Taufe und der spirituellen Wiedergeburt, aber auch eine tödliche Bedrohung in der elementaren Gewalt des Sturms. Shakespeares Schauspiel “Der Sturm” mit dem Lied “Full Fathom Five” (“Fünf Faden tief”) des Luftgeistes Ariel lieferte einen inspirierenden Ausgangspunkt für dieses Projekt, dessen Bildsprache etwas von der Kraft des Meeres vermittelt, überraschende Verwandlungen zu bewirken: “Full fathom five thy father lies / Of his bones are coral made / Those are pearls that were his eyes / Nothing of him that doth fade / But doth suffer a sea change / Into something rich and strange.”* Der Reichtum und die Fremdartigkeit werden hier durch das Spiel des Perkussionisten Dine Doneff verkörpert, der einem mit einem Bogen gestrichenen Waterphone geisterhafte Obertöne entlockt, während Savina die aus dem 17. Jahrhundert stammende Melodie von dem englischen Komponisten und Lautenisten Robert Johnson frei interpretiert.
*(In der deutschen Übersetzung von Franz von Dingelstedt aus dem Jahr 1866 heißt es: “Fünf Faden tief liegt Vater dein / Sein Gebein wird zur Koralle / Perlen sind die Augen sein / Nicht ein Theil von ihm verfalle / Den nicht salz’ge Meeresflut / Wandelt in ein köstlich Gut.”)
Wie immer bewegt sich sich Savina Yannatou auch auf “Watersong” anmutig inmitten einer Vielfalt von Kulturen und Dialekten. Diesmal interpretiert sie Musik aus griechischen, zypriotischen, korsischen, spanischen, italienischen, englischen, amerikanischen und irischen Quellen. Theodora Mavropoulos beschrieb Savina Yannatou kürzlich in einem SWR2-Radioportrait als “eine Zeitreisende” und “avantgardistische Weltmusikerin”. Die geografische Bandbreite der Musik wird diesmal in mehreren Stücken durch die tunesische Sängerin Lamia Bedioui noch erweitert. Wenn Savina und Lamia zusammen singen, entsteht ein besonderer Zauber – das hat bereits vor mehr als zwanzig Jahren Yannatous ECM-Debütalbum “Terra Nostra” gezeigt, auf dem Tunesierin auch zu hören war. In der aktuellen Aufnahme verkörpert Bedioui das Reich der Wüste, denn die arabische Sprache und der Dialekt der Beduinen überschneiden sich mit den Sprachen des mediterranen Europas und anderer Regionen. “Ich arbeite wirklich sehr gerne mit Lamia”, sagt Savina. “Nicht nur, weil sie die Lieder so schön auf Arabisch interpretiert, sondern auch, weil ich über ihren Gesang improvisieren kann. Unsere Stimmen sind sehr unterschiedlich, aber sie passen gut zusammen.” Das Album kulminiert im letzten Song, wenn Primavera en Salonico die Melodie des afroamerikanischen Gospels “Wade In The Water” mit der des traditionellen ägyptischen Stücks “Allah Musau” (“Gott des Moses”) überlagern. Beide Lieder handeln von Flucht und spiritueller Befreiung. Savina Yannatou und Amina Bedioui treten hier sowohl als Lead-Sängerinnen als auch mit ineinander verwobenen freien Improvisationen in Erscheinung.
Bei “Naana Algenina”, einem Stück aus Assuan am Nilufer, steht Bedioui im Vordergrund, während Yannatou die Gegenmelodien singt. Die Querflöte von Harris Lambrakis leitet zu dem nordmazedonischen Lied “Ivana” über. Eine zentrale Rolle spielt Lamia außerdem in “Mawal”, einem Gedicht des arabischen Prinzen Abu Firas al-Hamdani aus dem 10. Jahrhundert, das von dem irakischen Liedermacher Nazem al-Ghazali vertont wurde.
Das Ensemble Primavera en Salonico wurde 1993 gegründet, um sephardische Volkslieder in der Bearbeitung von Kostas Vomvolos mit der Sängerin Savina Yannatou aufzuführen. Die Kernbesetzung mit Musikern, deren Horizont von Klassik und Volksmusik bis hin zu Jazz, experimenteller Musik und Improvisation reicht, ist seitdem nahezu unverändert geblieben. Der Geiger Kyriakos Gouventas begleitete schon viele der großen Volkssänger Griechenlands und ist auch Mitglied des aus Thessaloniki stammenden Ensemble of Traditional Music sowie der bekannten Rembetika-Gruppe Tombourlika. Letzterer gehört auch der Oud-Spieler Yannis Alexandris an, der nicht nur ein angesehener Instrumentalist ist, sondern auch als Instrumentenbauer (Geigen, Bouzoukis, Baglamas, Lauten, Tamburas usw.) einen ausgezeichneten Ruf genießt. Der Bassist Michaelis Siganidis ist vor allem in der griechischen Jazz- und Improvisationsszene zu Hause und spielte u.a. schon mit Sakis Papadimitriou, hat aber auch eine Reputation als Dichter und Songwriter. Erst kürzlich veröffentlichte er ein Album für Bass und Elektronik. Harris Lambrakis hat bei Primavera en Salonico eine neue Rolle für die Nay geschaffen, wo diese alte Rohrflöte oft das Hauptinstrument ist und direkt auf Yannatous Stimme antwortet. Lambrakis ist als Solist auf dem ECM-Album “Medea” von Eleni Karaindrou zu hören. Dine Doneff (auch bekannt als Kostas Theodorou), der hier Perkussion spielt, ist ein Multiinstrumentalist, der sowohl den Bass als auch die Gitarre beherrscht. Der musikalische Leiter von Primavera en Salonico ist Kostos Vomvolos, der Akkordeon und Qanun (ein zitherähnliches arabisches Saiteninstrument) spielt. Von ihm stammen die meisten Arrangements und Adaptionen. Vomvolos ist in Griechenland zudem als Komponist von Theatermusik bestens bekannt. Die in Tunis geborene Lamia Bedioui lebt schon seit 1992 in Griechenland, wo sie eine Reihe eigener musikalischer Projekte unterhält. Bei ECM Records war sie zuvor schon auf dem ersten Album von Savia Yannatou und Primavera en Salonico zu erleben. Außerdem tritt sie gelegentlich mit mit dem Ensemble Siwan von Jon Balke auf.
Savina Yannatou studierte in Athen Gesang bei Gogo Georgilopoulou sowie Spiros Sakkas und absolvierte anschließend ein postgraduales Studium an der Guildhall School of Music and Drama in London. In Griechenland wurde sie durch ihre Rundfunkzusammenarbeit mit der Komponistin Lena Platonos im weithin bekannt. In den 1980er Jahren war Yannatou Gründungsmitglied des Athens Early Music Workshop. In den 1990er Jahren, parallel zu den Anfängen von Primavera en Salonico, intensivierte Yannatou ihre Auseinandersetzung mit frei improvisierter Musik und arbeitete mit Peter Kowald, Barry Guy, Floros Floridis und anderen zusammen. ALL DIESE Einflüsse spiegeln sich auch in ihrer heutigen Musik wider. Mit Primavera en Salonico hat Savina Yannatou bisher fünf Alben bei ECM Records veröffentlicht: “Terra Nostra” (2003), “Sumiglia” (2005), “Songs Of An Other” (2008), “Songs Of Thessaloniki” (2015) und jetzt “Watersong”. Außerdem ist sie auch auf Eleni Karaindrous “Tous des Oiseaux” (2018) und Arild Andersens “Electra” (2006) zu hören.